Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)

Fortbildung - Werkstattberichte

 

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Tore ins Sein

Fortbildungskurs der WSdK: September 2010, Benediktushof, Holzkirchen
Kursleiter: Richard Stiegler.

Ein Werkstattbericht

Autorin: Christiane Müller

Vom 6. bis 10. September 2010 fand unter der Leitung von Richard Stiegler und der Assistenz von Elisabeth Müller der 2. Teil einer WSdK-Fortbildung zum Thema Transpersonale Prozessarbeit in der spirituellen Begleitung statt. Diesmal ging es um die Zugänge für die Bewusstseinsebene des Absoluten. Es waren 27 Teilnehmer/innen dabei, womit die Kurskapazität wieder ausgeschöpft war und das große Interesse der WSdK an einer transpersonalen Prozessarbeit deutlich wurde. emü

Um 19.30 Uhr geht es los: Mit 27 anderen Personen sitze ich erwartungsvoll in unserem Gruppenraum im Kreis. Eine kurze Zeit der Stille vor der Kennenlern-Phase lässt schon ein wenig Gemeinschaftsgefühl in mir aufsteigen. Anschließend haben wir die Aufgabe, Dreier gruppen zu bilden, in denen jeweils einer in Form eines Monologs achtsam nachspürt, wie er oder sie noch nicht anwesend ist und was er oder sie braucht, um ganz da zu sein. Die beiden anderen hören einfach zu und stellen so einen Raum von Präsenz zur Verfügung. Das aufmerksame Zuhören kenne und praktiziere ich schon längere Zeit. Nun erfahre ich selbst dessen wohltuende Wirkung und bin überrascht, was in mir zum Thema Ankommen aufsteigt. Schon in der Kleingruppe, wie im Erfahrungsaustausch danach, staune ich über die vielen unterschiedlichen Herangehensweisen an dieses Thema. Nach einer Vorstellungsrunde und dem spielerischen Üben der einzelnen Namen endet dieser für mich sehr anregende Tag mit einer Meditation.

Verschiedene Wirklichkeitsebenen bestimmen unser Sein als Mensch

Der Tag beginnt mit Sitzen in der Stille. Nach dem Frühstück arbeite ich eine Stunde im Haus mit, und um 9.30 Uhr wird das Seminar fortgesetzt. Nach einer kurzen Zeit der Stille beginnen wir mit einer Übung, die wir zu zweit durchführen: Wo willst du berührt werden? Die Berührung als Begegnungsform von Mensch zu Mensch, das Da-Sein tut mir gut – sowohl im Geben als auch im Empfangen der Berührung.

In einem Impulsreferat gibt Richard Stiegler einen Überblick über die drei Wirklichkeitsebenen, die unser Sein als Mensch ausmachen: die Alltagsrealität, die seelische und die absolute Realität. Der Schwerpunkt liegt zunächst auf den beiden ersten Wirklichkeitsformen:

  • Der Alltagsrealität, die aus scheinbaren Tatsachen besteht und Produkt unseres Verstandes und Lernens ist. Dabei handelt es sich um Übereinkünfte, die uns Halt und Struktur geben und ein Leben als soziale Wesen in der Welt ermöglichen. Die Dinge sind definierbar und wir lernen, die Welt auf bestimmte Art wahrzunehmen. Sprach-, Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster entwickeln und vertiefen sich.
  • Auf der seelischen Ebene, auch Traumrealität genannt, erleben wir die Dinge sehr subjektiv, wie beispielsweise unsere Gefühle. Sie hat mit Vernunft nichts zu tun und besitzt auch keinen allgemeingültigen Wahrheitsgehalt. Wir erfahren z.B. eine andere Form von Offenheit und nutzen andere Wahrnehmungskanäle, die uns in den transpersonalen Raum führen können.

Nach der Theorie geht’s direkt in die praktische Umsetzung. In der ersten Übung, die wieder zu zweit ausgeführt wird, soll jede/r eine innere Reise antreten zu einem Augenblick, der einen innerlich sehr berührt hat. Dabei achtet die jeweils zuhörende Person besonders auf die verschiedenen Realitätsebenen, die der oder die Erzählende anspricht. Während ich zunächst über ein Erlebnis spreche und mich und mein Umfeld wahrnehme, befinde ich mich noch in der Alltagsrealität. Immer tiefer tauche ich in das ein, was vor einiger Zeit dieses Angerührtsein ausgelöst hat, und staune, was sich in der Übung ereignet und wie tief ich vertrauen kann. Die Reflexion geschieht erst nach Beenden der „Reise“. Durch eine weitere Aufgabe, die wieder zu zweit durchgeführt wird, vertieft sich die Erfahrung, dass mein Bewusstseinszustand sich verändert, je intensiver und konzentrierter ich in die Stille lausche, ohne irgendetwas zu erwarten. Ich lerne aber auch, dass diese Art von Übungen sowie eine kontemplative Schulung bei bestimmten psychischen Erkrankungen, z.B. bei bestehender Ich-Struktur-Schwäche, nicht durchgeführt werden sollten. Für diesen Personenkreis ist eine Objektmeditation hilfreich, da sie strukturiert ist und die Sammlung fördert.

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Ich bin das, was mein Bewusstsein auftauchen lässt

Der Nachmittag beginnt mit einigen Minuten der Stille. Dann folgen ein Wahrnehmungsspiel und wieder ein Impulsreferat. Jeder Mensch hat seine eigene Definition von Wirklichkeit. Er nimmt die Welt und alle Vorgänge darin individuell wahr, interpretiert und wertet sie. So erhalte ich nur einen Ausschnitt von dem, was ist – und ich bin das, was mein Bewusstsein auftauchen lässt … Nur: Worauf richte ich meine Aufmerksamkeit?!

Mit Hilfe verschiedener Methoden übe ich nun, die Perspektiven zu wechseln, indem ich verschiedene Bewusstseinsebenen einnehme. Ich lausche auf das Echo in mir, wenn ich frage, wer atmet, fühlt oder denkt, und beobachte, wie meine Wahrnehmung sich verändert.

Ich höre, wie ich eine Erfahrung vertiefen kann, indem ich mindestens drei Wahrnehmungskanäle abwechselnd nutze, z.B. Sehen, Hören, Empfinden, Körperausdruck, Emotion – und ich lerne den Unterschied kennen zwischen Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. In der folgen den Partnerarbeit wird die Theorie direkt in praktische Erfahrung verwandelt und dadurch lebendig.

Nach dem Abendessen gibt es einen „offenen Raum“. In ihm kann jedes Gruppenmitglied das einbringen, was es möchte: eigene Eindrücke vom Tag, Gefühle oder Anregungen und Wünsche. Wenn wir uns am Morgen teilweise noch fremd fühlten, – jetzt sind wir zu einer Gruppe zusammengewachsen. Wie die Steine in unserer meditativen Mitte, die unter schiedliche Formen haben und doch einen harmonischen Kreis bilden, erlebe ich die einzelnen Gruppenmitglieder mit ihren vielfältigen Impulsen und Erfahrungen. Ich empfinde eine tiefe Verbundenheit mit allen und weiß plötzlich, dass ich mit jedem vertrauensvoll und offen zusammenarbeiten kann.

Jedes Wesen darf sein, wie es ist

In den folgenden Tagen wechseln sich immer wieder Impulsreferate mit vielen praktischen Übungen sowie mit Erfahrungsaustausch ab. Der Rhythmus des Seminars entspricht in etwa dem des ersten Tags: Mit den theoretischen Ausführungen wird mein Verstand gefüttert, und mit jeder praktischen Übung vertiefen sich meine Erfahrungen. Ich lerne verschiedene Dimensionen von Stille kennen und spüre der unterschiedlichen Wirkung nach bei dem Gedanken ‚ich gehe‘ oder ‚es geht‘, oder aber, wenn ich eine Haltung der Hingabe einnehme. Hingabe als sein lassen erfordert Offenheit und aktives Tun in Form von Annahme in den vier Schritten: dem So-Sein von allem (auch z. B. von mir vielleicht unangenehmen Situationen) Raum geben, ihm folgen, ganz hineingehen und zuletzt dieses Sein werden. Wie sich das anfühlt, erfahre ich besonders beim Loslassen eigener Vorstellungen. Immer intensiver lasse ich mich auf die Aufgaben ein und beobachte neugierig, manchmal von innen heraus lächelnd, was geschieht. Sogar das Lauschen selbst nimmt immer andere Formen an …

Im letzten Impulsreferat erhalte ich wertvolle Informationen, wie ich im Alltag mit dem neu Gelernten umgehen, wie ich weiter an mir arbeiten und wie ich anderen etwas von meiner Erfahrung weitergeben kann. Jedes Wesen darf sein, wie es ist – auch ich. Ein tiefes Gefühl von Freude und Freiheit durchströmt mich.

Das Seminar hat Tore geöffnet, die immer neu durchschritten werden wollen.

In der Gruppe herrscht während des ganzen Seminars eine Haltung gegenseitiger Achtung und nicht wertender Akzeptanz jedes Teilnehmers. Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Jeder Beitrag ist okay so, wie er ist.

Richard Stiegler geht auf alle Äußerungen ein, führt einfühlsam durch Fragen weiter zum Kern einer Aussage. Als sehr angenehm empfinde ich den Wechsel zwischen Theorie und Praxis, Ruhe und Bewegung, Eigen- und Partnerarbeit. Gerade bei den Übungen in der Kleingruppe erfahre ich tiefe Empathie, die mir ein vertrauensvolles Einlassen auf den jeweiligen Prozess ermöglicht. Die gezielten Aufgaben sowie die mich begleitende andere Person führen mich in eine Tiefe, die ich ohne Anleitung nur schwer erreichen könnte.

Die großzügigen Zeitvorgaben für die Gruppenarbeit öffnen mir einen weiten Raum für eigene Entwicklungsprozesse. Außerdem kann ich durch die angeregte Eigenarbeit spüren, wie verschiedene Impulse wirken …

Das Seminar hat Tore geöffnet, die immer neu von mir durchschritten werden wollen. Bereichert, ja tief erfüllt und sehr dankbar fahre ich nach Hause.

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Christiane Müller, Iserlohn, geb. 1955, verheiratet, 2 erw. Kinder. Dipl. Verwaltungswirtin, bis 2006 über 33 Jahre tätig als Verwaltungsbeamtin, seit 2009 selbstständig als Psychologische Beraterin und Coach, Schülerin von Luitgard Tusch-Kleiner.

 

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