10 Jahre Würzburger Schule der Kontemplation Interview mit Willigis Jäger
KuM: Elisabeth Müller von der Zeitschrift "Kontemplation und Mystik"
KuM: Die Würzburger Schule feiert ihr 10-jähriges Jubiläum. Wie fing das Ganze an? Was war 1997 der zündende Gedanke zur Gründung des ökumenischen Arbeitskreises für das kontemplative Gebet?
Willigis Jäger: Mein Anliegen war es schon immer, die Mystik in die christlichen Kirchen zurückzuholen. Warum müssen unsere Zeitgenossen nach Japan oder Indien gehen, um einen spirituellen Weg zu lernen, der in eine transkonfessionelle und transrationale Erfahrung führt, wenn dieser auch in der eigenen Religion zu finden ist? Da der mystische Weg mein christliches Selbstverständnis vertieft hatte, wollte ich auch andere suchende Menschen diesen Weg lehren..
Foto: (c) Zeitschrift Kontemplation und Mystik
KuM: Was hat sich in diesen 10 Jahren entwickelt?
Willigis Jäger: Das Interesse an der Mystik wuchs nicht zuletzt durch die zunehmende Bekanntheit des Yoga. Die Menschen fragten sich, ob sie unbedingt nach Indien gehen müssen, um den Weg in einen spirituellen Erfahrungsraum zu erlernen. Ich entdeckte im Zenweg und im Weg des indischen Meisters Patanjali eine klare Parallele zur christlichen Mystik und lehrte den Weg eines Johannes vom Kreuz, einer Teresa von Avila und den Weg des englischen Mystikers, dessen Namen wir nicht kennen und der uns Anweisungen zur Mystik in dem heute unter dem Titel "Wolke des Nichtwissens" bekannten Buch hinterließ. Da sich immer mehr Menschen dafür interessierten, begann ich mit einer gründlichen Schulung für künftige Lehrer. Daraus entwickelte sich dann die Würzburger Schule für Kontemplation.
KuM: Ist es gelungen, durch die Arbeit der in der WSdK beauftragten Lehrerinnen und Lehrer die Mystik in der Institution Kirche wieder neu zu beleben?
Willigis Jäger: Viele Menschen, sowohl kirchentreue wie auch andere, die aus der Kirche ausgetreten sind, zeigten und zeigen Interesse am mystischen Gebet. Manche kamen sogar mit einer tiefen Erfahrung zu mir, mit der sie bei ihren Seelsorgern auf keinerlei Verständnis trafen. Teilweise wurden sie sogar zum Psychiater geschickt. Die offiziellen Kirchen zeigten wenig Interesse am mystischen Gebet, daher riet ich meinen Schülern, diesen Weg in den Pfarreien und kirchlichen Bildungshäusern anzubieten. In vielen Fällen gelang es auch, und so breitet sich das mystische Gebet unter den Gläubigen langsam wieder aus. Da normalerweise Reformen in den Kirchen von unten nach oben führen, bleibt zu hoffen, dass das Interesse daran auch in der Theologie und in den Ausbildungsseminaren für Theologen und Priester langsam zunimmt.
KuM: Ist der mystische Weg überhaupt mit der christlichen Lehre vereinbar, da er die Heilsvorstellungen der Kirche hinterfragt und damit übersteigt?
Willigis Jäger: Die mystische Stufe ist die dritte Stufe einer jeden Religion. Ich finde sie im Buddhismus (Zen), im Hinduismus (Weg des Patanjali) und im Islam (Sufismus). Sie ist ein Wesensbestandteil und das eigentliche Ziel aller Religionen. Sie übersteigt die institutionelle und die intellektuelle Stufe und führt in einen transrationalen Erfahrungsraum. Johannes vom Kreuz und Teresa von Avila lehrten den mystischen Weg. Sie bekamen Schwierigkeiten mit der Institution, ebenso übrigens auch Margarete Porete und Giordano Bruno, die beide auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurden, weil sie von ihrer Erfahrung nicht abließen. Und Teresa wird zur siebten Wohnung in ihrem Buch "Wohnungen der inneren Burg" vorgeworfen, dass sie sich mit manchen Aussagen auf "dogmatischem Glatteis" befinde. Die Angst der Kirche vor der Mystik besteht nach wie vor. Auch ich bekam das Redeverbot, wie es hieß, "zum Schutze der Gläubigen".
KuM: Die Würzburger Schule ist in einem neuen Selbstfindungs- und Differenzierungsprozess, d. h. es sind verschiedene Strömungen in der Schule beheimatet, aber es gibt auch eine starke regionale Verankerung. Was sind Zukunftsvisionen für die WSdK?
Willigis Jäger: Inzwischen sind aus der WSdK regionale Gruppen entstanden. Man trifft sich vielerorts an manchen Abenden der Woche zum kontemplativen Gebet. Um der Mystik Kontinuität zu geben, möchte ich die "Würzburger Schule der Kontemplation" gerne in die Stiftung "Westöstliche Weisheit" einfügen, weil dort die unverbogene Klarheit der Mystik eine gewisse Garantie erhält. In manchen Strömungen kann ich diese letzte, klare mystische Erfahrungsebene nicht erkennen. Sie sollen ihren Weg außerhalb der WSdK gehen. Ich lade alle ein, die von mir eine Beauftragung erhielten, mit in die Stiftung zu kommen. In der Leitung der Stiftung "Westöstliche Weisheit" werden Vertreter der WSdK sitzen, die auf das wahre Wesen der Mystik achten. Sollte jemand seinen Weg außerhalb der WSdK suchen, ist nichts dagegen einzuwenden.
KuM: Wenn man heute Bilanz zieht, was ist gewonnen? Die Kirchenaustritte mehren sich. Was zeigt die Erfahrung? Finden die Menschen durch die Kontemplation in ihre angestammte Religion zurück oder kehren sie ihr eher den Rücken?
Willigis Jäger: Die mystische Erfahrungsebene schenkt auch ein neues christliches Selbstverständnis. Es führt aus der engen konfessionellen Ausdeutung der christlichen Lehre heraus in ein zeitgemäßes Verstehen. Wir leben nicht mehr im 4. Jahrhundert, in dem unser Glaubensbekenntnis formuliert wurde. Die Astrophysik und Quantenphysik vermitteln uns ein alles Rationale übersteigendes Weltverständnis und die Neurologie versucht, uns physische Abläufe im Gehirn aufzuzeigen, die in einer tiefen Versenkung sichtbar werden. Das Interesse an der Mystik scheint mir in diesen Kreisen größer als in den Kirchen, wo es eigentlich seine Heimat hat. Manche Menschen finden über ihre mystische Erfahrung wieder den Weg zurück in die Kirche oder sehen keinen Grund, auszutreten. Ihr christliches Selbstverständnis hat sich zwar gewandelt, veranlasst sie aber nicht zu einer Trennung.
KuM: Es ist davon die Rede, dass du gerade deinen Nachlass ordnest. Seit der Eröffnung des Hauses St. Benedikt in Würzburg als Meditationszentrum für östliche und westliche Wege sind unter deiner Führung verschiedene Institutionen entstanden, als letztes die neue Zenlinie und die Stiftung Westöstliche Weisheit. Warum für den einen Weg, der sich letztlich auf ein und dieselbe Übung reduziert, all die verschiedenen Zweige? Was ist der gemeinsame Nenner?
Willigis Jäger: In der Stiftung "Westöstliche Weisheit" möchte ich dem Weg der christlichen Mystik, dem Weg des Zen, wie auch anderen Aktivitäten, die in eine Vertiefung des menschlichen Bewusstseins führen, eine unverfälschte Kontinuität und auch eine Garantie der Echtheit verleihen. Alle Übungswege behalten ihre Eigenständigkeit, sind aber eingebettet in einen Kreis von Verantwortlichen, die diese Wege kennen.
KuM: In Holzkirchen ist kürzlich ein Zengarten entstanden und wurde die neue Zenlinie begründet, es sind häufig Gäste aus Japan und China im Haus und der am Benediktushof gelehrte Zenweg entwickelt sich spürbar weiter. Hinkt die Kontemplation inzwischen etwas hinterher? Ist das Zen mehr Herzensanliegen als die Kontemplation, wenn sich das überhaupt sagen lässt?
Willigis Jäger: Die Kontemplation bleibt mein erstes Anliegen. Wie oben gesagt, möchte ich sie in ihrer klaren Form auch wieder in den christlichen Kirchen lebendig machen. Weil viele Menschen lieber den Weg des Zen gehen möchten, bleibt mir auch dieser Weg ein Anliegen. Am Ende führen beide Wege auf den gleichen Gipfel, nämlich in einen Erfahrungsraum, der das Konfessionelle und Geographische übersteigt.
KuM: Zen ist Mode und genießt in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Am Zulauf zu Zenkursen mangelt es nicht. Dennoch raten viele namhafte spirituelle Führer wie der Dalai Lama dazu, den spirituellen Weg der eigenen religiösen Tradition zu gehen. Wieso tut sich die Kontemplation als mystische Entwicklungsschule des Menschen im Westen so schwer?
Willigis Jäger: Die Kirche ist nicht bereit, ihr rationales Glaubensverständnis durch die mystische Erfahrung zu ergänzen. Die Institution hat Angst, ihren Absolutheitsanspruch zu verlieren, wenn die Menschen ihr christliches Selbstverständnis auf Grund ihrer Erfahrungen anders formulieren. Darum siedelt sich die christliche Mystik heute vielfach außerhalb der Kirche an. Der christliche Glaube bedarf einer Transformation, nicht einer Reformation. Die liturgischen Texte und selbst das Glaubensbekenntnis bedürfen einer zeitgemäßen Formulierung.
KuM: Es gab in den letzten Jahren einen Wechsel in der spirituellen Leitung des Benediktushofes. Wer vertritt die Kontemplation?
Willigis Jäger: Alexander Poraj ist Doktor der Theologie. Er ging sehr lange mit mir den Weg der Kontemplation und ist dabei, die Mystik auch in die theologische Fakultät an der Universität bringen. Erste Ansätze sind bereits sichtbar. Mit der theologischen Fakultät in Freiburg sind bereits Studiengänge und vor allem auch die Praxis vereinbart. Ähnliches soll an der Universität in Granada passieren. Beatrice Grimm und Franz Nikolaus Müller halten mit mir die Kontemplationskurse und fühlen sich verantwortlich für die Weitergabe der Kontemplation. Ich hoffe, in der WSdK noch weitere Lehrer zu finden, die mein Anliegen weiterführen.
KuM: Zum Schluss die Frage, ob es zutrifft, dass du dich weiter aus der Kurs- und Vortragsarbeit zurückziehen möchtest?
Willigis Jäger: Ich werde bald 85 Jahre alt und gebe daher gerne meine Erfahrungen und meine Tätigkeit an Nachfolger weiter. Aber noch – wie lange, überlasse ich dem göttlichen Urgrund – werde ich weiterhin Kontemplation lehren.
KuM: Vielen Dank für das Gespräch.
Elisabeth Müller, aufgewachsen als Pfarrerstochter in Mexiko-City. Lebt mit Mann und Sohn in der Nähe von Frankfurt; ein weiterer Sohn ist epilepsiekrank. Literaturübersetzerin und Lektorin für Spanisch und Französisch und Schülerin von Willigis Jäger. Kontemplationslehrerin der WSdK, Ausbildung in transpersonaler Prozessarbeit "Schritte ins Sein" bei Richard Stiegler. Gibt Kontemplationskurse und begleitet Einzelne auf dem inneren Weg. E-Mail: , Internet: Link
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