Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)

Frauen und Männer der Mystik

 

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Über die Wüstenmütter

Autorin: Anne Weller

Der Vortrag P. Anselm Grüns über die Wüstenväter rief die Frage nach den Wüstenmüttern hervor. Gab es am Anfang des christlichen Mönchtums auch Frauen, die den radikalen Weg der Wüste gingen? Unterschied sich ihre Spiritualität und ihre Begleitung anderer von der der Wüstenväter? Fragen, die aus dem Stand nicht beantwortet werden konnten. Deshalb fand sich eine kleine Arbeitsgruppe mit Anne Weller, Sr. M. Mechthild Fricke OP und Franz-Xaver Jans-Scheidegger zusammen. Anne Weller legt mit folgendem Artikel erste Ergebnisse der Nachforschung vor. Weitere werden in den nächsten Ausgaben der „Kontemplation" folgen. SJH.

Aus den „Apophthegmata Patrum", den Weisungen der Väter, kennen wir drei „ammas" der Wüste: Theodora, Sarrha und Synkletika. Amma ist der dem Abbas entsprechende weibliche Titel für geistbegabte Einsiedlerinnen. In dieser berühmten Sprüchesammlung sind die drei Ammas mit den ihnen zugeschriebenen Sprüchen in die alphabetische Reihenfolge der Anzahl der Väter - es gibt dort 128 „abbas" - eingeordnet.

Es war also eine verschwindend kleine Anzahl von Frauen, die diesen radikalen Weg der Gottsuche gegangen sind. Allerdings wissen wir nicht, wie viele Asketinnen der Wüste unerkannt und unbekannt geblieben sind, einmal weil sie Männerkleidung trugen, und zum andern, weil sie es als Frauen schwerer hatten, als geistliche Lehrmeisterinnen von den Männern anerkannt zu werden. Immerhin sind von den 1240 Apophthegmata in dieser Sprüchesammlung 46 diesen drei „geistlieben Müttern" zugeschrieben worden - vergleichsweise wenige zwar - aber präsent und bezeichnend genug, um ein Licht zu werfen auf den geistlichen Rat, den Frauen damals erteilten.

Es gibt kaum Literatur zum Thema „geistliche Mutterschaft" innerhalb der Wüstenanachorese, (Anachorese = das Sich-Entfernen aus der bewohnten Welt) dieser großen, geistlichen Aufbruchsbewegung des 4. und 5. Jahrhunderts. In der Literatur über die Wüstenväter kommen die Frauen kaum vor. Mit der patriarchal gestimmten Aufmerksamkeit der Zeitgenossen und der Nachfahren bis in unsere Zeit hängt wohl auch zusammen, dass das Wort vom geisterfüllten „abbas" eine viel größere Ausstrahlung und Signifikanz für das Mönchtum, die Kirche und die gottsuchenden Menschen bis heute gehabt hat, als das ebenfalls bezeugte Wort „amma", das Wort für die geistliche Mutter.

Aber ist das immer so und nur so gewesen? Sind die Anachoretinnen, Moniales, (Moniales = Frauen, die in einem lose organisierten Klosterverband lebten) Inklusinnen, monastischen Wanderinnen der ägyptischen Wüste in ihrer Zeit auch nur unbedeutend, nicht erwähnenswert, im „Ringwall des Schweigens" (J.M. Soler, S.167) eingeschlossen, nur in ihrer Vermännlichung anerkannt gewesen? Waren sie auch innerhalb der Wüstenanachorese das „schwache Geschlecht", das geistlich kaum etwas zu sagen hatte?

Im Gegensatz zu gewissen männlichen Vorurteilen der Zeit, wie auch zu den diese Zeit prägenden Philosophen der Antike - von denen nur wenige zuließen, dass Frauen sich mit Philosophie beschäftigten - gibt es erstaunliche Aussagen von Kirchenvätern, die in der Befähigung zum geistlichen Leben keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen machten und ihnen im geistlichen Kampf die gleiche Befähigung, die gleiche Stärke und Tapferkeit wie den Männern zuerkannten, und sie sogar rühmten, im Kampf oft tapferer zu kämpfen. Da solche Aussagen auch für uns - besonders für uns Frauen - interessant sind, möchte ich hier einige zitieren (nach Soler, S. 168).

So wird folgender Satz dem Gregor von Nyssa zugeschrieben: „Die Frau soll nicht sagen: 'Ich bin schwach'. Denn die Schwachheit gehört zum Fleisch, während die Stärke in der Seele wohnt."

Und bei Gregor von Nazianz heißt es: „In dem allgemeinen Kampf um das Heil ist die weibliche Natur weiter vorangekommen als die männliche, so dass zwischen beiden wohl ein Unterschied in der Gestalt besteht, nicht aber in der Seelenhaltung."

Basilius schrieb: „Diese Worte richten sich nicht allein an die Männer; denn auch Frauen teilen den Kriegsdienst Jesu Christi dank der Kraft und Stärke ihrer Seele. Die Schwäche ihres Körpers schließt sie keineswegs davon aus. In diesem geistlichen Kampf haben sich viele Frauen nicht weniger ausgezeichnet als die Männer. Einige haben dabei sogar größeren Ruhm erworben."

Und schließlich ist bei Johannes Chrysostomus zu lesen: „Das mönchische Leben feiert nicht nur bei den Männern seine Triumphe, sondern auch bei den Frauen. Tatsächlich sind sie nicht in geringerem Maße Philosophen als diese. Gemeinsam mit den Männern kämpfen sie gegen den Teufel... Oft haben die Frauen tapferer gekämpft als die Männer, und sie haben glänzendere Siege davongetragen."

Auch die Wüstenväter unterschätzten das asketische und spirituelle Leben der Frauen im großen und ganzen nicht und rühmten es sogar. Werden Frauen in der Mönchsviten-Literatur erwähnt, wird oft unterstrichen und rühmend erwähnt, dass sie „die weibliche Natur überwunden" hätten, „fast wie" oder „gleichsam ein Mann" geworden seien - allerdings schwingt ja in solchen anerkennenden Worten auch mit, dass die weibliche Natur an sich nicht ausreicht für den asketischen Weg, für die Befähigung, „geisterfüllten Rat" zu erteilen.

Wenn die Ammas auch überwiegend als Lehrmeisterinnen anerkannt wurden, so brach doch auch immer wieder die kollektive, patriarchal geprägte Vorstellung der Zeit von den Frauen als dem schwächeren Geschlecht - schwächer auch soweit es das geistliche Leben betraf - bei den Vätern durch. Ein besonders krasses Beispiel einer Entwertung einer Amma durch 2 Väter möchte ich nicht unerwähnt lassen. Hier die Geschichte (Apo 887).

Zwei „große Greise" besuchten einmal die Amma Sarrha. Als sie weggehen wollten, sprachen sie zueinander: „Wir wollen diese Alte demütigen." Und sie sagten zu ihr: „Sieh zu, dass sich dein Denken nicht überhebe und du sagst: 'Sieh da, die Einsiedler kommen zu mir, obwohl ich ein Weib bin.'" Die Amma antwortete mit dem berühmt gewordenen Satz: „Der Natur nach bin ich ein Weib, aber nicht meinem Denken nach!"

Diese Geschichte ist zunächst ein Beispiel dafür, dass auch Abbas eine Amma aufsuchten und sie damit als geistliche Mutter akzeptierten. Das war nichts ungewöhnliches innerhalb der Wüstenanachorese. Zugleich aber wird das Gegenteil deutlich. Ein kaum zu überbietendes männliches Überlegenheitsgefühl, das die Männer dazu hinreißen lässt, die Amma, die sie durch ihren Besuch ja als überlegen anerkennen, gleichzeitig zu demütigen.

Alles in allem kann man vielleicht zusammenfassend sagen, dass es zu Beginn des Mönchstums überwiegend - wenn auch widersprüchlich - die Überzeugung gegeben hat, dass kein großer Unterschied zwischen den Asketen beider Geschlechter besteht. Die geistliche Leitung, die Frauen erfuhren, unterschied sich nicht sehr von der, die Männer erhielten. Die Frauen hatten keine besonderen Bücher über ihre Spiritualität in Gebrauch; wie die Männer lasen sie in der Heiligen Schrift und in den Mönchs- und Heiligenviten.

Sie lebten streng asketisch, mieden wohl aber asketische Übertreibungen und Exzesse. Wenn sie sich als würdig erwiesen - und das war sicherlich schwieriger als bei den Männern -, wurden sie als „amma" anerkannt und konnten wie die „abbas" geistliche Unterweisung geben. Einzig und allein die geistliche Lossprechung von den Sünden konnte eine geistliche Mutter nicht erteilen; dazu bedurfte es eines Priesters. Dies betraf allerdings auch die meisten „abbas", die ja oft aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen kamen und keine Priester waren.

Es ist in Anbetracht dieser überwiegenden Akzeptanz der Frauen als geistliche Lehrmeisterinnen nicht erstaunlich, dass die Kompilatoren der Apophthegmata Patrum die Ammas mit ihren Sprüchen in die alphabetische Reihenfolge der Abbas eingeordnet haben, kommentarlos, wie selbstverständlich. Auch das besagt, dass die Wüstenväter und die, die unmittelbar nach ihnen ihre Aussprüche zusammengestellt haben, Frauen genauso die Fähigkeit zu Geistbegabung, Askese und geistlicher Unterweisung zuerkannt haben wie den Männern.

Wer aber waren nun diese drei in den Apophthegmata bezeugten „ammas"? Was wissen wir über sie?

Amma Synkletika

Ich beginne mit S y n k l e t i k a, da wir über sie am meisten wissen.

In der Vita der heiligen Synkletika, die - wohl fälschlicherweise - dem Athanasius von Alexandria zugeschrieben worden ist, wird Synkletika als Vorbild einer christlichen Asketin dargestellt. Diese Lebensbeschreibung bedeutete für die Anachoretinnen und Moniales das, was die von Athanasius verfasste vitae des heiligen Antonius für die Mönche bedeutet hat. Sie ist für Jahrhunderte d a s Lehrbeispiel für asketisches, monastisches Leben von Frauen geworden.

Aus dieser Lebensbeschreibung wissen wir, dass Synkletika im 4. Jahrhundert in Alexandria gelebt hat, einer vornehmen, christlichen Familie mazedonischer Herkunft entstammte und von Kindheit an sehr fromm gewesen ist. Es heißt, sie sei sehr schön gewesen, habe aber trotz vieler Heiratsangebote dauernde Jungfräulichkeit gelobt. In dieser Hinsicht soll die sonst so gehorsame Tochter selbst gegen die Tränen der Eltern gleichgültig geblieben sein. „Sie wollte nur von nützlichen, den Geist erhellenden Dingen hören; jeder anderen Rede verschloss sie sorgfältig den Zugang zu ihrem Herzen." (Lex.3 - Synkl.)

Nach dem Tod ihrer Eltern verteilte sie ihr ererbtes Vermögen an die Armen, ließ sich die Haare scheren und zog sich mit ihrer blinden Schwester in eine einsame Grotte vor die Stadt Alexandria zurück, wo sie streng asketisch lebte. So wurde sie zuerst durch ihr Beispiel und später - nach langem Zögern - durch Rat-Erteilung und Unterweisung zur „amma". Besonders Frauen suchten ihren geistlichen Rat und siedelten sich in ihrer Nähe an, so dass sich um ihre Grotte eine Art Kloster bildete. In ihren letzten Lebensjahren - sie soll 84 Jahre alt geworden sein - litt sie unter einem Kehlkopfleiden und unter einem sehr schmerzhaften entstellenden Gesichtsgeschwulst. In dieser Zeit soll sie immer wieder Engelerscheinungen gehabt haben, die ihr halfen, ihre Leiden geduldig zu ertragen.

Die Apophthegmata Patrum enthalten 27 Sprüche von Synkletika, die alle aus ihrer Lebensbeschreibung stammen. Wenn ich ihre Anweisungen lese, fällt mir besonders auf, wie sehr sie immer wieder auf die Maßhaltung hinweist: „Wir müssen die größte Maßhaltung bewahren." (Apo 893). „Denn überall ist die Maßlosigkeit verderbenbringend" (Apo 906). Neben der Maßhaltung ist die Unterscheidungsgabe eine wesentliche, unabdingbare Tugend im asketischen Leben: „Wir müssen unsere Seelen mit Unterscheidungsgabe leiten" (Apo 908).

Diese beiden Tugenden ziehen sich wie ein roter Faden durch ihre Anweisungen. So ist bei der Übung der Einsamkeit z. B., die ja für die Anachoreten einen so zentralen Stellenwert hatte, auf das rechte Maß zu achten und zu unterscheiden, ob ein Mönch in völliger Einsamkeit - „wie auf einem Berg" - sich nicht doch vielleicht wie ein Stadtbewohner mitten im Getümmel (seiner Gedanken) befindet, wohingegen ein anderer, der in der Menschenmenge lebt, vielleicht (in seinen Gedanken) völlig einsam sein kann (Soler 174). So ist auch die Besitzlosigkeit, als ein weiteres Beispiel, nur ein vollkommenes Gut für die, die sie ertragen können (Apo 896).

Ganz besonders wichtig aber ist ihr das Maßhalten und Unterscheidenkönnen in Bezug auf die Askese. Die sonderbaren Blüten radikaler Askese, die es innerhalb der Wüstenanachorese gegeben hat - und an der wohl nicht wenige zugrunde gegangen sind - unterstützt sie nicht, sondern warnt vor einer „überspannten Askese, die vom Feinde ist" (Apo 906). Und weiter heißt es da: „Wie nun unterscheiden wir die göttliche, die königliche Askese von der tyrannischen, dämonischen? Offenkundig durch das Maß" (Apo 906). „Aus diesen Worten spricht das mütterliche Gespür für das, was ein Mensch braucht (A. Grün S.67/68) wie sie auch sonst in mütterlicher Sorge immer wieder mahnt, auf den Körper zu achten, ihn zu berücksichtigen und zu schonen, wenn er durch Krankheit geschwächt ist. „Denn dann ist die große Askese, in Krankheit tapfer auszuhalten und Dankeshymnen zu Gott zu senden (Apo 899).

Überhaupt geht es ihr immer wieder um das Annehmen und geduldige Aushalten der Widerwärtigkeiten und Schwächen, die mit unserer leiblichen Existenz zusammenhängen. Das Ziel der Askese ist für sie nicht die Überwindung und Abtötung des Leibes, die Härte der Disziplin, der Verzicht - wie es in manchen Apophthegmata der Männer anklingt - sondern die durch sie geübten Tugenden der Geduld, der Demut und der Sanftmut. Und immer wieder macht sie wie eine gute Mutter Mut, sich nicht zu betrüben, „wenn wir durch Schwäche belästigt werden" (Apo 899), „das Kreuz als Segel aus(zu)spannen und ohne Furcht die Fahrt zuende(zu)führen" (Apo 900) und „vom Großen zum Größeren fort(zu)schreiten" (Apo 898).

Besonders bei dieser Amma sind mir die bildhafte Sprache und ihre Vergleiche mit ganz handfesten, lebensnahen Situationen aufgefallen. Besonders schön ist der Vergleich, mit dem sie ihre Mahnung unterstreicht, nicht das Koinobion zu wechseln: „Wenn der Vogel von seinen Eiern aufsteht, dann werden sie zu Windeiern und unfruchtbar - so auch der Mönch oder die Jungfrau: Wenn sie von Ort zu Ort wandern, erkalten sie und sterben im Glauben" (Apo 897).

Amma Sarrah

Über das Leben der Amma S a r r h a (auch Sara, Sarra) aus Ägypten wissen wir nicht viel. Sie ist uns nur aus ihren 9 Apophthegmata aus den Apophthegmata Patrum bekannt. Sie hat im 4. Jahrhundert gelebt. Aus ihren Sprüchen wissen wir, dass sie 60 Jahre lang am Ufer des Nils gelebt hat, und davon 13 Jahre lang gegen die „Dämonen der Unreinheit" zu kämpfen hatte (Apo 884). Ihr Gottvertrauen und ihre Standhaftigkeit im Kampf gegen die Dämonen wurden besonders gerühmt. Wegen ihrer Weisheit und Heiligkeit wurde sie häufig aufgesucht und „um ein Wort" gebeten. Auch Altväter suchten ihren Rat.

Es ist schwer, sich aus den wenigen Apophthegmata, die wir von Sarrha haben, ein Bild von dieser Amma zu machen. Für mich drückt sich in ihren Anweisungen eine große Demut aus, die Bereitschaft, sich ganz Gott zu überlassen, sich Gott zu verdanken. Als ein „Geist der Unreinheit" sich endlich geschlagen gab, sagte sie: „Nicht ich habe dich besiegt, sondern mein Herr Christus!" (Apo 885). Während ihrer Anfechtungen betete sie nicht, dass der Kampf aufhöre, sondern dass Gott ihr Kraft geben möge (Apo 884). Ihr eigenes Vermögen, dem Kampf standzuhalten, lag also für sie ganz in Gottes Hand. In allem, was sie tat, z. B., wenn sie den Fuß auf eine Leiter setzte, um hinaufzusteigen, hielt sie sich den Tod vor Augen (Apo 889), war sich also unablässig bewusst, wie verletzlich und endlich unser menschliches Leben ist, wie wenig unserem eigenen Willen verfügbar. Auch im Umgang mit den Menschen war es für sie vor allem unabdingbar, Gott um ein reines Herz zu bitten (Apo 888), da ihr eigenes Vermögen und das der andern nicht ausreicht, gut miteinander zu stehen. Auch bei ihr klingt viel Menschliches, Maßhaltendes an, wenn sie Menschen, die Almosen wegen der Beliebtheit bei den Menschen geben, nicht verdammt, sondern es achtet, da es das göttliche Wohlwollen trotzdem heiligt (Apo 890). Oder wenn sie den 2 Anachoreten, die sie besuchen und die von ihrem Speisekörbchen nur das Verdorbene essen, amüsiert sagt: „Wirklich, ihr seid Sketioten!" (Sketis ist ein Gebiet der ägyptischen Wüste, ein Zentrum der Wüstenanachorese).

Amma Theodora

Über das Leben der Amma T h e o d o r a wissen wir fast nichts. Sie hat um 500 in Alexandrien gelebt. Es heißt, sie habe unter dem Namen Theodorus bis zu ihrem Tod in einem Männerkloster gelebt. Aus ihren Unterweisungen kann man evtl. schließen, dass sie eine gewisse theologische Ausbildung gehabt haben muss. 10 Aussprüche sind uns von ihr in den Apophthegmata Patrum überliefert. Besonders interessant für uns ist vielleicht Apo 313, in dem sie darlegt, welche Laster ein Lehrer des geistlichen Lebens abgelegt und welche Tugenden er entwickelt haben muss. Auch für sie kommt es allein auf die Demut an, denn keine noch so angestrengte Askese besiegt die Dämonen der Seele so sehr wie die Demut.

Da wir zu einem späteren Zeitpunkt auf einige Anweisungen dieser Amma zurückkommen werden, gehe ich an dieser Stelle nicht weiter auf sie ein.

Mich hat bei meiner Beschäftigung mit den Ammas besonders die Frage bewegt, warum es vergleichsweise so wenige Frauen gegeben hat, die ein solches zur völligen Hingabe an Gott bereites, „ungeteiltes" Leben auf sich genommen haben. Ist die „Glut der Gottesliebe", von denen die Väter sprachen, bei Frauen weniger lebendig und antreibend? Ist ihre Sehnsucht nach dem Einswerden mit Gott weniger ausgeprägt als bei Männern? Ist es Männersache, „die Menschen zu fliehen", wie es eine Stimme dem Altvater Arsenius befahl (Apo 39), alle emotionalen und sozialen Bindungen hinter sich zu lassen, um „die ganze Aufmerksamkeit auf Gott zu fixeren", wie es Johannes Cassianus gefordert hat? Sind Frauen weniger bereit oder in der Lage, sich der bedrängenden, oft quälenden und furchtbaren Herausforderung völliger Einsamkeit auszusetzen, dem Schrecken der Leere, den Anfechtungen der Askese, dem Kampf gegen die Dämonen der eigenen Seele?

Zunächst einmal liegt es auf der Hand, das alles, was das Leben in der Wüste im 4./5. Jahrhundert an Unbequemlichkeiten, Schwierigkeiten und vor allem Unsicherheiten mit sich brachte, so war, dass eine Frau nur schwer ein solches Leben auf sich nehmen konnte. Sozialpsychologisch bedingte Einschränkungen im Leben der Frauen in einer patriarchal geprägten Gesellschaft kamen hinzu. Frauen werden kaum angeregt oder ermutigt worden sein, ein asketisches Leben in der Wüste zu führen, und erst recht kaum die Zustimmung dazu erhalten haben.

Was ist es aber vielleicht in der weiblichen Psyche selbst, das Frauen eher abhielt, ein solch ausschließlich auf Gott gerichtetes Leben anzustreben? Die antreibende Glut der Gottesliebe, die Sehnsucht nach tiefer Gotteserfahrung kann sicherlich bei Frauen genauso stark ausgeprägt sein wie bei Männern; das wissen wir von den Nonnen und Mystikerinnen, von denen wir schriftliches Zeugnis haben. Ich möchte auf zwei mögliche Erklärungen hinweisen, die mir zu dieser Frage kamen.

Das unablässige Eingedenk sein Gottes, das ja zur Grundübung der Wüstenväter gehörte, die unablässige Übung, sich auf Gott als den einen Zielpunkt auszurichten, sich immer und ausschließlich - soweit das möglich ist - auf ein einziges zu fixieren, also einspitzig in der Bewusstseins-Ausrichtung zu werden, verlangte ein wohl mehr dem männlichen Prinzip zugeordnetes, zielgerichtetes Bewusstsein. Nicht von ungefähr sagte die Amma Sarrha, sie sei dem Denken nach ein Mann, im Denken habe sie - ich interpretiere jetzt vom ganzen Satz her - ihre weibliche Natur abgelegt.

Der harte Weg der Wüstenaskese verlangte sowieso eine Überwindung der menschlichen Natur, besonders aber der weiblichen. Ein weiterer, möglicher Erklärungsaspekt wäre vielleicht die bei Frauen stärker ausgeprägte „Gefahr der Bezogenheit" (E. Neumann). Vielleicht kann man sagen, dass Frauen von ihrer psychischen Bereitschaft stärker als die Männer in das Geflecht ihrer Beziehungen eingebunden und verwoben sind, die alltäglichen Notwendigkeiten ihrer Familien, in das Reagieren auf das, was die ihnen nahestehenden Menschen brauchen. Sich aus dieser Bezogenheit zu lösen, die eigene Familie, die Freunde, das gewohnte Umfeld zu verlassen, „die Menschen zu fliehen" war aber der erste notwendige Schritt, um dem hohen Ziel des engelgleichen Lebens und der Einswerdung mit Gott zu folgen. Das war ein schwerer, radikaler Schnitt und Schritt für Männer und Frauen, besonders aber - denke ich - für Frauen.

Was heißt auch „Askese der Wüste"? Vielleicht leben Frauen ihre Askese, ihre oft auch sehr harte Schulung in Geduld und Hingabe, Aufgabe des eigenen Willens, Demut und Liebe in dem sich immer wiederholenden Geschehen des Alltags, in der Sorge für und um andere, während der Schwangerschaft, bei der Geburt, evtl. am Krankenbett, im Beruf, usw., ähnlich und anders als die Männer.

Dieser Artikel kann nur ein Einstieg sein zum Thema Wüstenmütter.

Ich habe mich auf die uns durch die Apophthegmata Patrum bekannten drei Ammas beschränkt. Ich habe viel gesucht und nicht sehr viel gefunden. Es würde sich lohnen, sich weiter auf die Suche zu begeben nach der Rolle und Bedeutung geistlicher Mutterschaft in der Frühzeit des Mönchstums. Wollte man sich einen weiteren Überblick verschaffen, so könnte man sich mit der vitae der Heiligen Makrina, verfasst von ihrem Bruder Gregor von Nyssa, beschäftigen, oder mit dem Leben der Schwester des Pachomius, der Mutter und Ältesten der Moniales, oder mit den „pneumatischen Müttern" aus der „Historia Lausiaca" des Palladius.

Es wäre endlich an der Zeit, intensive Forschung in diesen Ländern selbst zu betreiben - dazu braucht man allerdings koptische, aramäische und syrische Sprachkenntnisse - und nach schriftlichen Zeugnissen von Asketinnen, Moniales, Inklusinnen und monastischen Wanderinnen zu suchen - nach den sicherlich vorhandenen, noch unentdeckten und nicht erwähnten Zeugnissen tiefer weiblicher Spiritualität und geistlicher Mutterschaft. Hier ist noch sehr viel Forschung zu leisten, um das Männer und Frauen umfassende Gesamtbild des ersten Mönchtums vollständiger zu erstellen, und um diese Frauen und ihr geistliches Vermächtnis in die Geschichte und in unser Bewusstsein zurückzuholen.

Literatur
Weisung der Väter (Apophthegmata Patrum), übers. V Bonifaz Miller. Aus: SOPHIA Band 6, Paulinus-Verlag, 1998
J.M.Soler: Die geistliche Mutterschaft im frühen Mönchtum als Anfrage an unsere Zeit, in: Erbe und Auftrag 63 (1987), S. 167 ff.
A. Grün (OSB) Geistliche Begleitung bei den Wüstenvätern, Vier-Türme-Verlag 1991 Theologische Realenzyklopädie, 1994, Bd.23/Mönchtum
Biographisch-Bibliograph. Kirchenlexikon, Verlag Traugott Bautz, Bd. VIII/1934/Sara und Sykletika
Vollständiges Heiligen-Lexikon, Dr. Job. Evang. Stadler, Augsburg.

Die Autorin Anne Weller war Kontemplationslehrerin und gehörte von September 2004 bis Januar 2007 zum Vorstend der Würzburger Schule der Kontemplation (WSdK). Sie starb am 4 Mai 2013.

 

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