Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)Frauen und Männer der Mystik |
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Hadewijch von AntwerpenAutor: Willigis JägerDie Situation im 13. JahrhundertHadewijch war eine Begine, die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts lebte. Ein englischer Chronist jener Zeit, Matthäus Paris, hat uns einige Zahlen über Klöster und Beginenhäuser im 13. Jahrhundert überliefert. Danach gab es allein in Straßburg zur Zeit Eckeharts 7 Dominikanerinnenklöster und 85 Beginenhäuser. In Köln, wo Eckehart ebenfalls wirkte, gab es 169 Beginenhäuser. Matthäus Paris nimmt an, dass zur Zeit Eckeharts in Deutschland 1.000.000 Beginen lebten. Deutschland hatte damals zwischen 8 und 14 Millionen Einwohner. Das bedeutet, dass eine unverhältnismäßig große Zahl von Menschen in klösterlichen Gemeinschaften lebte. Es war eine religiöse Epoche, wie es sie kaum mehr in der Menschheitsgeschichte gegeben hat. Dominikus, Franziskus, die Beginen und eine Wiederbelebung der alten Orden ließ eine große Zahl von religiösen Gemeinschaften erstehen. Es war eine Zeit religiösen Suchens. Liebe und EinheitHadewijch hatte eine Zeitlang die Leitung eines Beginenhofes gehabt. Sie gab die Leitung ab und war danach an vielen Orten zu finden. Sie sprach Französisch, was auf ihre Vertrautheit mit höfischen Sitten hinweist. Als eine offensichtlich gebildete Frau kannte sie die Schriften von Augustinus, Richard v. St. Victor und Bernhard von Clairvaux. Sie lässt sich nicht in ein Schema einordnen. Die von ihr bekannten Texte weisen verschiedene Sprachformen auf. Sie sind kaum bekannt, wurden aber von Ruisbroeck und den Brüdern vom Gemeinsamen Leben offensichtlich gelesen. Erst im 19. Jahrhundert wurde Hadewijch als Mystikerin entdeckt. Sie scheint von der Inquisition, die etwas später einsetzte und einige Beginen wie Aeleis zu Cambrai hinrichten ließ, nicht verfolgt worden zu sein. Hadewijch hatte in ihren Schriften zwei wichtige Themen. Das erste ist die Liebe, die in ihrer Sprache „Mine“ genannt wird. „Was anders hab’ ich nicht: Ich muss von Minne zehren.“ (MS 363). Minne und Gott werden bei ihr gleichgesetzt, im Anschluss an den ersten Brief des Johannes, wo es im 4. Kapitel, Vers 16 heißt: Gott ist Liebe. Das andere wichtige Thema für sie ist „Einheit“. Sie geht über die Vorstellung hinaus, es vereinige sich in der Liebe ein begrenzter Geist mit dem Grenzenlosen Geist. Die Einheit ist eine unterschiedliche Einheit, wie sie auch bei Eckehart zu finden ist. Nach Hadewijch geht es nun darum, diese unterschiedliche Einheit, die immer besteht, zu erfahren. Sie meint, dass beim Genießen der Minne der Mensch Gott werden könne. (MA 388) Die Geliebte und der Liebhaber wohnen dergestalt ineinander, „dass keiner sich selbst vom andern herauskennt ... und eine süße göttliche Natur fließt durch sie beide, und sie beide sind durch einander eines, und bleiben eins ...und bleiben so für immer.“ (MS 389) Für Hadewijch ist es sehr wichtig, dass beide Seiten gelebt werden: Gott und Mensch. „An Epiphania ... wurde ich im Geist entrückt ... Ich vernahm eine schreckliche und nie gehörte Stimme, die mir symbolisch sagte: ‚Sieh, wer ich bin!‘ Und ich sah Den, den ich suchte. Sein Angesicht offenbarte sich ... und in diesem Angesicht sah ich alle Geschöpfe.“ (BS 22) Der Mensch ist nicht vollkommen, „solange er nicht Gott und Mensch pflegt“, das heißt seine göttliche und menschliche Seite lebt. Hadewijch schaut dabei auf Jesus, vor allem auf sein Leiden. Der Mensch hat Gott und Mensch in der Nachfolge Jesu zu leben, besonders auch in seinem Leiden. Das ganze menschliche Leben wurde von Jesus in Gott hineingenommen, schreibt sie. Dazu gehört auch das Leid. Es ist mit diesem Leiden nicht zuletzt auch die Erfahrung der Abwesenheit Gottes im Leben der Mystiker gemeint. Viele, die den Weg der Kontemplation gehen, wissen um diesen Schmerz, der nach einer tiefen Erfahrung den Menschen wie eine Depression befallen kann. Gerade in dieser Phase sollte der Mensch aber wissen, dass ihm Gott am nächsten ist. Die Erfahrung der angeblichen „Gottesferne“ spielt in der Mystik als Zeit der Reinigung eine wichtige Rolle. „Wer der Liebe treu bleiben will, muss lebend in den Tod eintreten“ (Mgd.10), „Muss weiter mit Schmerzen – eine endlose Wüste durchqueren (Str. Ged. 36), wo die Seele verzehrt wird und untergeht in ihrem abgrundtiefen Wesen ... muss ständig zugrunde gehen ... in der tiefen und hohen Finsternis der Liebe (Mgd. 16), ohne etwas zu wissen oder zu sehen oder zu verstehen, außer dem einen, mit ihm vereint zu sein.“ (V.6) (S 20) Loslassen aller Verhaftungen„Grenzenlos sind eitle Verhaftungen, ich gelobe, sie alle zu lassen“, heißt es in einem Zentext. Genau darum geht es auch Hadewijch, nämlich um ein letztes Loslassen aller Verhaftungen. Selbst festgefahrene Lebensweisen soll man zurücklassen. „Wenn man an einer Lebensregel festhalten will, belastet man sich mit vielen Dingen, von denen man frei sein sollte... ein Geist des guten Willens gibt unserem Leben innerlich mehr Schönheit als es je eine Regel vermöchte“. (BS 13) Vielleicht liegt darin der Grund einer gewissen Unstetheit, die ihr Leben prägte. „Seid gut und mitfühlend gegenüber jeder Not, aber bekümmert Euch niemanden“. (BS 18) Die wahre Liebe äußert sich nicht in der Süße der Gefühle, sondern in der Dunkelheit und im Dienst am Nächsten. Noch eine wichtige Aussage, die bei Mystikern immer wieder vorkommt und die ich auch in der Begleitung vieler Menschen immer wieder feststelle: Alle Einteilungen des Verstandes verlieren ihre Bedeutung. Selbst gut und böse, Himmel und Hölle, Leben und Tod fallen in eins zusammen. Das Feuer der Erkenntnis und der Liebe nivelliert alle Unterschiede. Daher kann Hadewijch schreiben: „Erhält dies Feuer Oberhand, ist ihm alles eins, was es verzehrt... Der Trost, mit Gott im Himmel zu sein oder in der höllischen Pein zu verweilen. Das ist diesem Feuer alles eins. Es verbrennt alles, was es erreicht; selbst Verdammnis oder Seligkeit sind eines, das muss ich bekennen.“ (MS 366) Wie die folgenden Stellen zeigen, gehören Hadewijchs Aussagen zu den kühnsten Äußerungen der mittelalterlichen Mystik. Sie stehen Texten aus der östlichen Weisheitslehre sehr nahe.
BS bedeutet zitiert nach Baumer O., Hadewijch v. Antwerpen, (c) Copyright 1988 Willigis Jäger, OSB |
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