Karin Gerhard „Lass deinen Mund stille sein, dann spricht dein Herz…“
Karin Gerhard lässt uns an der Begeisterung und Lust am Singen, am Lauschen und Staunen der Gesangsmeditationen teilhaben, die die erlebte Fortbildung ausgelöst hat. U.M.
„Vor lauter Lauschen und Staunen sei still, du mein tieftiefes Leben, dass du weißt, was der Wind dir will, eh noch die Birken beben. Und wenn dir einmal das Schweigen sprach, lass deine Sinne besiegen. Jedem Hauch gib dich, gib nach, er wird dich lieben und wiegen. Und dann meine Seele sei weit, sei weit, dass dir das Leben gelinge, breite dich wie ein Feierkleid über die sinnenden Dinge.”
Dieses Gedicht von Rilke tauchte immer wieder in mir auf, schon während der Klänge und Lieder, aber vor allem dann, wenn die Stille wie „ein Feierkleid” auf uns herabsank und sich im Raum ausbreitete, tief und kraftvoll.
Die Stille begleitete uns alle Tage, immer entstand der Ton aus der Stille des Atems und klang aus in der Stille, nachdem Klänge und Lieder im Raum erklungen waren. Immer wieder auch das Aufmerken nach innen, um der Schwingung der Töne nachzulauschen: Der Körper als Klanginstrument. Stille. Den Körper erleben ausgespannt zwischen Erde und Himmel, den Atem als lebendige Bewegung in uns: „Schweige und höre…” Worte werden zu Klang und werden mehr und mehr in uns hineingebildet. Vorstellbar, dass wir zu dem werden können, was wir singen…
Und: „Schaue hindurch, was immer du siehst, schaue hindurch mit deinem Herzensauge. Lausche hindurch, was immer du hörst, lausche hindurch mit deinem Herzensohr”. „So einfache Worte”, meint Helge, „aber eigentlich radikal”. Das stimmt! Hindurchschauen, Hindurchlauschen mit dem Herzen, das ist tiefer sehen und hören, durch alle Masken, Rollen, Aufgesetztes und Verstecktes hindurch auf die Wirklichkeit dahinter, auf das Wesen meines Gegenübers. Und es bedeutet auch: Endlich hört und sieht mich jemand, wie ich wirklich bin. Ich kann alles Gemachte loslassen, das Gehaltene schmilzt dahin, da lassen wir uns geschehen und können den Atem frei fließen und den Körper befreit schwingen lassen. Das Herz öffnet sich. Das ist sehr berührend zu erleben. So ein kleines Lied, was da alles drinstecken kann!
Dann – Stille – Nachklang …
Meine Seele lauscht hinein in jenes Unhörbare, das wie der Klang der Stille in allen Dingen lebt. Meine Seele schaut hindurch auf jenes Unsichtbare, das wie die Vielgestalt der Stille sich in allen Dingen zeigt…
Helge Burggrabe
Wenn alles still ist und das Herz ruhig wird, dann hören wir aus einer anderen Quelle, hören und schauen Unerwartetes.
„Lass deinen Mund stille sein, dann spricht dein Herz. Lass dein Herz stille sein, dann spricht Gott”.
Mehrfach gesungen werden wir in die Tiefe dieser Stille mitgenommen, in das einfache Da-Sein von Verbundenheit und Einklang.
… Was eben noch von mir getrennt erschien, durchdringt mich, lässt alle Saiten meiner Seele schwingen und mich mit mir und allem ganz im Einklang sein. (Helge Burggrabe)
Danach nochmal die Worte von Bruder Klaus zu hören und zu singen verstärkt die Erfahrung von Einheit und Einklang. „Nimm alles von mir, was mich hindert zu Dir…“ Wenn wir uns in den Klang dieser Worte hineinsinken lassen, sie in uns hineinbilden, dann „klingen wir zusammen mit etwas Größerem, was uns stets umgibt und von dem wir ein Teil sind.” (Helge Burggrabe)
Gesungen im 4-stimmigen Chor entsteht ein umfassendes Gemeinschaftsgefühl, alle singen verbunden mit der gleichen Quelle der Inspiration, sind Instrumente der göttlichen Geistkraft. Alles schwingt.
Dann – Stille – Nachklang
Ich bin die Stille das Unbegreifliche, Unhörbare das tosende Schweigen ich bin die Quelle der Inspiration das Feuer, das die Fülle der Töne entzündet…
Helge Burggrabe
Klang empfangen Einige von uns sitzen, liegen in der Mitte des Kreises. Die im Kreis sitzen lassen langsam aus der Stille heraus Klänge entstehen und singen sie denen in der Mitte zu. Was bewirkt der Klang – so von außen geschenkt – was bringt er in Schwingung? Jede*r spürt für sich schweigend nach. Ich erlebe tiefe Ruhe, Geborgenheit, Dankbarkeit, für manches reicht die Sprache nicht aus…
In einer neuen Sequenz probieren wir uns im Rhythmus. Afrikanische Rhythmen und Worte. Erfrischend das Einfinden in die ungewohnten Rhythmen. Dann in zwei Gruppen zusammen. Vergnüglich!
Rhythmus und Melodie kommen dann wieder zusammen in dem Lied:
„Mache dich auf und werde Licht, denn dein Licht kommt” (Melodie) und „Lumen de Lumine (Licht vom Lichte)” (Rhythmus)
Spontan hat sich eine Rhythmus-Gruppe gebildet und gegenüber die Melodiegruppe, die immer mehr zusammenrückte, alle umfassten sich. Es entstand ein starker Klang der Gemeinschaft und des Aufeinanderzu, mit großer Freude und Lebendigkeit gesungen.
Dann wieder jede*r für sich, „Pilger”. Langsame Schritte gehen, sich ausprobieren in den wechselnden Schritten, Balance finden im Bodenkontakt, schwingend gehen, vorwärts und rückwärts, in verschiedenen Zeiten… Verweilen und in der Stille sich sammeln. Aus der Stille das „Hagios o theos” entstehen lassen. Wir lassen Gebärden dazu entstehen, die den ganzen Körper zusammen mit den Klängen in Berührung mit dem „Heiligen” bringen. („Hagios“, das Heilige, so nennt Helge ja auch seine Liederhefte, die „gesungenen Gebete”)
Immer beginnen wir wieder neu mit dem Hineingehen in die Sammlung der Stille, daraus entsteht das „Schweige und höre…” und dann auch Wiederholungen anderer Lieder. Die häufigen Wiederholungen bringen uns viel Sicherheit in den Stimmen, viel Innerlichkeit und Durchlässigkeit für das, was in den Liedern gesagt ist. Und Helges Aufforderung „es gibt keine falschen Töne” tragen dazu bei, in Freiheit zu tönen und zu singen und die Lust am Singen mit seinen Tiefenwirkungen wieder zu entdecken.
Und nochmal begegnen wir dem Licht, diesmal mit einem Wort aus der Sufi-Tradition, was Helge vertont hat:
„Oh du mein Gott, gib mir Licht, stärke mein Licht, mache mich zu Licht.”
Wir lernen das Lied, dann treffen wir uns zu zweit. Das Licht ist zwar unsichtbar, kann aber in seiner Wirkung erfahrbar werden. Wir unterstützen uns darin gegenseitig: Eine/r steht ruhig gesammelt und aufgerichtet, die /der Andere folgt den Hinweisen von Helge und führt die Hände in die Nähe oder in Berührung des Körperraumes, der genannt wird:
„Licht hinter mir – Licht vor mir – Licht rechts von mir – Licht links von mir – Licht unter mir – Licht wie ein Schutzmantel um mich –”
Dann singen wir mit dieser für das Licht bereiteten Seele nochmal gemeinsam: „Oh, du mein Gott, gib mir Licht, stärke mein Licht, mach mich zu Licht.” Licht-Worte wie durchdringen, erleuchten, erhellen, erfüllen… fallen mir ein – fallen in mich hinein ist stimmiger.
Wir bewegen uns frei im Raum mit den Klängen der Flöte oder des Monochords. Wir gehen durch die verschlungenen Pfade des Labyrinths, was für uns im Raum ausgelegt ist. In seiner Mitte finden wir Licht, um unsere Kerze daran zu entzünden. Auf den weiteren Wegen nehmen wir das Licht mit.
„Wechselnde Pfade, Schatten und Licht alles ist Gnade, fürchte dich nicht.“ Wir singen das Lied immer weiter mit unseren Schritten, mit Begegnungen, Gebärden und lassen ein tiefklingendes „Ja” zu diesem unserem Lebensweg in uns wachsen. Schatten und Licht gehören zusammen, wollen gelebt sein, gehören zu uns.
Als wir dann wieder im Kreis sitzen mit unserem Licht und sich eine ganz tiefe Stille wie von selbst ausbreitet, höre ich wieder in mir die poetischen Worte von Rilke: „… und dann meine Seele sei weit, sei weit, dass dir das Leben gelinge, breite dich wie ein Feierkleid über die sinnenden Dinge.” Wie dieses Feierkleid erlebte ich die Stille, die ganz sanft auf uns heruntersank.
Danach das „Hagios” zu singen kommt auch wie von selbst: Gewissheit und Verbundenheit und Dankbarkeit im Unfassbaren, Unsagbaren, Unnennbaren:
Ich bin die Stille das Unfassbare, Unsagbare die gefüllte Leere ich bin der Urgrund des Seins der Urklang, aus dem alles Leben hervorgeht…
Helge Burggrabe
Und in der letzten Einheit kommt alles nochmal zusammen, die in und über allem liegende Stille, das durchklingende „Jehoshua”, das mit allen Vokalen den ganzen Körper durchklingt und mit dem ausklingenden „a” den Raum um mich herum mit einschließt. Jehoshua klingend klärt und stärkt sich das Innen, um dann im Außen sichtbar zu werden. Im Inneren durchtönt, öffnet sich der Weg ins Außen. Auch hier wieder die Ahnung: So durchdrungen von dem sich wiederholenden Klang wachsen wir in das hinein, wovon wir „singen und sagen”. Vielleicht werden wir es…
„Lass deinen Mund stille sein, dann spricht dein Herz, lass dein Herz stille sein, dann spricht Gott”. Mit diesem Lied lassen wir uns noch einmal auf die Stille der Kontemplation ein, um dann ein kraftvolles und freudvolles Halleluja tönen zu lassen. Das Halleluja wird in seinem Grundton von der Gruppe gehalten, und jede/r Einzelne singt sein eigenes „wie eine aufsteigende Lerche“ (Helge) dazu. Und nach den individuellen „Kadenzen” kommt nochmal der ganze Chor in einem großen Halleluja-Klangbild zusammen. Da ist hörbar und spürbar Gemeinschaft gewachsen. „Hier bin ich”, klingen wir nochmal zum Abschied. Es klingt nach Stärke und Bereitschaft, da zu sein. Die Abschlussrunde zeigt, wieviel in diesen Tagen erlebt worden ist an Mut und Freiheit, an tiefer Berührung, an Lebendigkeit, erfüllender Stille und Dankbarkeit. Danke dir, Helge, für dein Dasein, deine Musik und deine Spiritualität.
Karin Gerhard Geb. 1942, eine erwachsene Tochter, Kontemplationslehrerin „Wolke des Nichtwissens”, Willigis Jäger, Bewegungspädagogin nach Dore Jacobs, Qigonglehrerin, Lehrerin für meditativen/sakralen Tanz.
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