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Elisa-Maria Jodl „Der Körper als Instrument. Klang und Stimme in der spirituellen Praxis.“
Elisa-Maria Jodl zeichnet ein lebendiges, meditatives Stimmungsbild von der Fortbildung. Getragen von Rhythmus und Klangfülle spürt sie dem Erlebten nach und sie lässt damit den Leser, die Leserin an den musikalischen Ereignissen im Sinne der Resonanz teilhaben. (U.M.)
Klang – Körper – Stimme – Geistkraft
Dienstag. In der Einstiegsrunde am ersten Abend begegnen sich zwanzig Menschen im Gewölbesaal. Nach 15 Minuten Stille lädt Helge ein, dem Atem, wie er durch den Körper zieht, mehr Raum zu schenken, zu gewähren… sssscccchhhhhh… hhhuuuuuu… In immer neuen Varianten, im je eigenen Atemrhythmus. Keine gemeinsame Atemlänge. Nach und nach kommt ein Ton, ein Klang, ein Geräusch hinein. Ohne Vorstellung. Ohne richtig und falsch, ohne Seitenblick, wie es Helge nennt, ohne Seitenblick zum Nachbarn, zur Nachbarin: ‚Kannst du denn nicht anders?‘ Es sitzt tief in uns drin, nicht singen zu können oder auf eine bestimmte Weise singen zu müssen oder jedenfalls nicht so!
Nacheinander, ohne Reihenfolge, sind wir eingeladen, unseren Namen Klang,Rhythmus werden zu lassen. Welche Fülle an Variationen. Jede einzelne eine Note, eine einzigartige Note im großen Weltenkonzert.
Ruach… r uuu aaaa ch ch h hr u a ch h elohim, ruach chayim, Hebräisch als Klangsprache lässt im Klang die Wirklichkeit des Seins – die ständige Wandlung – Ausdruck sein. Ru – – – aus der Tiefe, aus dem Urgrund… steige ich empor aaa – – – breite mich aus, entfalte mich in unzähligen Weisen ch ch – – – im Knirschen und Knarzen des Kehllautes gepackt h h h h – – – verflüchtigt sich, was eben noch wirklich und spürbar gewesen. Ruach elohim als göttlicher Atem/Geist und ruach chayim als Lebensatem, lebendiger Atem. In einer ausführlichen Vorstellungsrunde können wir darüber sprechen, was uns hierhergeführt hat, dann wenden wir uns wieder unserem Thema zu. Wir sind Instrument, Instrument der göttlichen Geistkraft. Lauschen, erspüren: „O signore fadi me un instrumento della tua pace“ (Franz von Assisi). Tragende o- und a-Laute, sich öffnen dem Klang, auf dass das Instrument zum Klingen kommt. Nicht ‚ich‘ muss klingen. Der Atem stößt an, bläst durch, bringt zum Vibrieren. ES tönt. Zum Ausklang in die Nacht hinein lassen wir erklingen: Agios o theos, agios ischiros, agios athanatos, eleison ymas.
In der Fremdsprache Griechisch tragen die Vokale, lassen weiten Raum erstehen, schenken Resonanz und bereiten uns für die Stille der Nacht. Die deutsche Begriffssprache „heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser“ aktiviert sofort das Für- oder Wider- Denken, lässt vielleicht sogar die Stirne runzeln: „Wo bist du denn, du heiliger Gott?“ Doch dieses aagioos ooo theooos nährt, belebt, weitet den Sinn – hin zu diesem – ja, stillen, heiligsten RAUM in uns, wo kein Raum ist. Zu diesem Nichtfassbaren – und doch wirklich Gegenwärtigen hin. Klang entsteigt der Stille und kehrt dorthin zurück. Bringt uns ihr näher. Am Begriff reiben wir uns.
Mittwoch. Vor dem Frühstück jeweils zwei Einheiten Kontemplation – Sitzen in Stille. Die erste beginnt mit einem Tönen im freien Atem und mit freier Tonhöhe, ohne richtig und falsch, auf Jehoschua. Der Vormittag beginnt mit Belebung des Körpers, dehnen, gähnen, abklopfen. Mit Hilfe der Vokale i e a ä O o u den Innenraum mit seinen Energiefeldern weiten und nähren. Auch völlig ungezwungen dem Schwung nachgeben: iiieaäou. Von oben durch den Körper hinunter. Wieder und wieder. Eine Gebärdebewegung hilft innen und außen zu verbinden. Dann verweilen wir im Klang von ji e hooo schuu aa. Keine gemeinsame Atemlänge. Lerne innerhalb der Gruppe deinen Atemrhythmus wahrzunehmen, ihm zu folgen. Im Tönen ist auch die Tonhöhe frei, ja selbst die Reinheit des Klanges muss nicht sein. Nimm an, was deiner Stimme jetzt möglich ist.
Hagios o theos, hagios ischiros, hagios athanatos, eleison ymas… dieser Klang ist bereits ein wenig vertraut. Eine zweite, dritte Stimme kommen dazu. Im Gewölbesaal entfaltet sich ein voller Klang. Dazu eine alte Erzählung aus der griechischen Kultur: Die Schöpfung sei mit der Erschaffung der Welt, der Pflanzen, Tiere und des Menschen noch nicht beendet gewesen. Erst nachdem das Lob aus dem Menschen hervorbrach, das Lob zur Schöpfungskraft hin… hagios o theos… voller Klang wurde, da war die Schöpfung vollendet. Das große staunende O, Mitte von gOtt. Vielleicht genügt das schon, das Wesen des Ewigen zu begreifen. Wir sind nach dieser Einheit so berührt, belebt, ja ergriffen, wir sind per-sonar / durchtönt, dass wir völlig still in die Pause gehen und trinken, trinken, trinken.
Nach einer großzügigen Mittagspause lassen wir uns wieder ein auf Belebung des Körpers von außen und von innen durch „ruach elohim, ruach elohim, ruach chayim, ruach elohim“. Auch dieses Lied wächst in die Mehrstimmigkeit hinein und wir wachsen mit. Die einen mit Leichtigkeit und großer Freude am Singen. Andere mit rostiger Stimme und angespannten Stimmbändern erfahren den Melodieklang, wie er jetzt möglich ist. Keine Bewertung. Lass los. Und so sind wir da. „Ich bin da – hineni“, ein weiteres Lied, bereits am Vorabend angesungen, jetzt wird es erneuert und vertieft. „Ich bin da“ als klarer Akzent in der Senkrechten und Waagerechten. „Hineni“, übersetzt „ich bin da“, lädt vom Vokalklang her ein, sich in die Weite zu öffnen, auszubreiten. Nach oben, vorne, hinten, einfach in den Raum hinein. Wir brauchen beides: Die Verankerung mit klarem Akzent hier und jetzt, ähnlich dem Kreuz, das wir vor uns schreiben, und das Verströmen ins Unendliche, weit über alle Horizontgrenzen hinaus. In dieser Fortbildung nähern wir uns den spirituellen Themen an via Musik, via Klang und Klänge. Musik: Ein Lebensweg, über den viele Menschen im Innersten erreicht werden und ihnen die Erfahrung des Einsseins geschenkt wird.
„Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr, suche den Frieden.“ Ein allen vertrauter Kanon, der uns mit der Herzebene vertraut macht und überleitet zu einem neuen Lied: „Lass deinen Mund stille sein, dann spricht dein Herz. Lass dein Herz stille sein, dann spricht Gott.“ Vertraut werden mit den Melodien, 1. Stimme, 2. Stimme, Tenor, Bass, sie vertiefen und für zehn Minuten in der Stille nachklingen lassen. Meine Frage bleibt, löst sich nicht auf: Wie kann ich das Herz stille sein lassen? Das lässt sich nicht einfach mit einer Methode bewerkstelligen. Eine Gebärde hilft, die Öffnung des Herzens in die Weite zu animieren. Wir stehen zu dritt. Die mittlere Person bewegt die Gebärde, die zwei Personen je zur Seite unterstützen den Herzraum von hinten mit der Hand und begleiten äußerst behutsam die sich öffnenden Arme, wenn sie sich nach unten öffnen. Und noch einmal singen wir: „Lass deinen Mund stille sein, dann spricht dein Herz. Lass dein Herz stille sein, dann spricht Gott.“ Nach der Pause noch einmal „un instrumento della tua pace“. Und auch das bekannte Lied „o signore fadi me“ von Niklaus von Flüe in einer Vertonung von Helge Burggrabe: „O du mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert. O du mein Gott, gib alles mir, was mich führet zu dir. O du mein Gott, nimm mich mir und mach mich ganz zu eigen dir.“ Helge führt dazu aus: Das herkömmliche Gebet bittet doch um Gaben, die uns zu fehlen scheinen. Hier ist es anders. Bruder Klaus bittet zuallererst: „Nimm alles von mir, was mich hindert zu dir.“ Das ist schon eine Umkehrung zu unseren Alltagsgewohnheiten. Mit dem Bruder-Klaus-Gebet sagen wir: Mach mich zuerst leer, auf dass du mich füllen kannst. Und dann nimm auch diese Fülle noch, auf dass ich ganz Dein bin. Daran schließt sich an ein Lied: „Geboren im Segen deiner Gegenwart ruhen wir in dir, du unendliche Liebe.“ Die Abendeinheit füllt und verdichtet, was während des Tages gewachsen ist. Der Stille entspringen nach einer Aufforderung dazu feine Töne, gehen über in ein ji-e-ho-schu-a, indem wir verweilen, uns füllen lassen. Intensiv wird das „Ich bin da – hineni“ zu zweit erlebt. Dreimal oder viermal beim eigenen Namen gerufen zu werden und aus der Dimension des Herzens antworten: „Ich bin da“. Ernsthaftigkeit des Augenblicks. Berührung der Seele. Dann erklingt wieder „O signore fadi me un instrumento della tua pace.“ Der Schreibenden fällt auf, welcher Unterschied in der deutschen Sprache entsteht. Ich kenne diese Bitte des Franziskus als „Mache mich zum Werkzeug deines Friedens“. ‚Werkzeug‘ oder, wie Helge sagt, ‚Instrument‘ ist wahrlich nicht dasselbe. Wenn ich bei Instrument an eine Geige denke, wie wesentlich ist da der Resonanzkörper und dass eine/r an den Geigenseiten zupft oder streicht. Ein Werkzeug muss funktionieren, jedoch nicht durchlässig sein. So viel zum ‚instrumento‘.
„Öffne meiner Liebe ein Tor, öffne meiner Liebe ein Tor, du mein Ebenbild.“ Es ist Abend, wir gehen in die Nacht und schenken uns mit einem einfachen Lied vielfachen Segen: „Du bist gesegnet, ein Segen bist Du. Du bist gesegnet ein Segen bist Du.“ Sich diesen Zuspruch hörend zusingen lassen. Segen annehmen will gelernt und geübt sein. An diesem Abend ist auch Willigis Jäger mit seiner Begleitung unter uns anwesend. So erhält auch er in seinem hohen Alter von bald 94 Jahren die Zusage „Du bist gesegnet, ein Segen bist Du.“ Und noch einmal „hagios o theos, hagios ischiros, hagios athanatos, eleison ymas“, bevor der Mensch, die Menschen so sehr gesegnet, berührt, belebt, beseelt sich noch einmal der Stille überlässt. DANKE.
Donnerstag. Der Vormittag beginnt spontan mit einer kleinen Frage- und Klärungsrunde. Dann, wie tags zuvor, zuerst den Körper lockern, dehnen, gähnen und durch das Tönen der Vokale i – e – ä – a – O – o – u, den Innenraum weiten und zur Erfahrung bringen. Von oben nach unten den Klang gleiten lassen und von unten nach oben steigt er auf. Die Arme nehmen die Bewegung auf. Die Hände steigen von unten vor der Leibmitte auf und breiten sich von oben herab über den seitlichen Raum bis nach unten wieder aus.
In eben diesem Raumbewusstsein, innen und außen, lassen wir uns auf den Klang von Jiehoschua ein. Im Becken gut gegründet und verankert ist die Schale für den Klang oschu bereits gegeben. Mit dem Ji fällt der Atem, die Geistkraft einem Samenkorn gleich, in uns hinein und gleitet den Innenraum hinab, weitet den Grund und steigt aus diesem wieder auf ins helle A. Wenn die Hände diesen Weg mitbegleiten, stehen wir zuletzt im Kreuz gegenwärtig da, ohne dass das Kreuz ein Marterinstrument wird. Es ist ein wohlklingendes Kreuz. „O signore fadi me un instrumento della tua pace“ füllt uns und den Raum und lässt uns anschließend in die Stille lauschend auf dem Kissen oder Stuhl verweilen. Aus der Stille heraus erreicht uns die Ansage: Lasst jetzt den Atem völlig frei, ohne Vorgabe in den Raum fließen, lasst ihn hörbar werden. Nimm deinen Klang wahr und höre auch die unterschiedlichen Klänge im Raum. Es entsteht ein Klanggewebe, zart und fein zunächst. Doch nach und nach auch mit einigen Akzenten, Färbungen, die aufgegriffen werden. So erfahren wir Resonanz. Auf einmal ist auch der Gedanke geweckt: „Das hätten wir aufnehmen sollen.“ Und lässt sich doch nicht festhalten.
Am Monocord zeigt Helge auf, dass Stimme in Schwingung bringen kann. An den beiden Seitenlöchern bläst er mit voller Leibstimme hinein und die Saiten klingen nach, obschon sie gänzlich unberührt blieben. Im 2. Versuch ruft er ein trockenes „Bitte“ hinein und die Saiten bleiben stumm. Ähnlich ergeht es uns in zwischenmenschlichen Begegnungen.
Die einen kommen zum Klingen und Schwingen, andere bleiben stumm oder weisen sich gar ab. Nach der Pause einmal mehr „ruach, ruach, ruach elohim“, gefolgt vom „Hier bin ich – hineni“. Auch diesmal in Verbindung mit einer Paarübung. Mein Name wird genannt und ich antworte mit „hier bin ich“. Ist es bloß eine automatische, mechanische Antwort? Birgt sie Kälte oder weckt sie Resonanz? Wir experimentieren. Darüber entsteht noch ein angeregter Austausch zu zweit.
Elisa-Maria Jodl, Kontemplationslehrerin „Wolke des Nichtwissens“, Willigis Jäger und 1. Vorsitzende im Würzburger Forum der Kontemplation e.V., evang.-reformierte Pfarrerin i.R. www.elisamaria-jodl.ch“
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