Uschi Wengenmayr: "Wer sich verändert, verändert die Welt"
Vorstellung einer langjährigen Lehrerin
Autor: Dr. Dr. Peter Macher
Uschi Wengenmayr (W), Kontemplationslehrerin WFdK, ist seit Januar 2015 im Vorstand des Würzburger Forums der Kontemplation tätig. Sie ist zuständig für die Mitgliederlisten, den Newsletter und das Internet. P.M.
Die Fragen stellte Dr. Dr. Peter Macher (M)
(M): Hattest Du in Deiner Kindheit schon einen Bezug zur Spiritualität?
(W): Nein, eigentlich erst später. Ich wurde in Augsburg in einer katholischen Familie geboren. Wir waren zuhause wirklich sehr katholisch und es war für uns selbstverständlich, dass wir, also Eltern, meine Schwester und ich, jeden Sonntag in die Kirche gingen. Geheiratet habe ich dann sehr früh, mit 18 Jahren, hatte drei Kinder bekommen, war als Hausfrau tätig und in der Kirche im Familienkreis aktiv. Als meine jüngste Tochter zur Erstkommunion ging, war ich in der Kirche als Kommunions-Mutter engagiert und sollte den Kindern katholische Glaubensinhalte vermitteln. Ich musste dann überrascht feststellen: Ich glaubte selbst nicht mehr, was ich den Kindern erzählte.
Nach der Kommunion erforschte ich mich, fragte nach dem „Warum?“. Der Hauptzweifel war bei mir in der Kernaussage: Warum lässt der Vater seinen Sohn töten, wofür war er schuldig, dass er Sühne leisten musste? Er war doch der Barmherzige, Gütige, Verzeihende. Wie kann es sein: Der barmherzige Vater lässt seinen Sohn umbringen? An dieser Stelle kam es zum Bruch mit der Kirche. Ich ging nicht mehr in die Kirche und habe meine damals bestehende Frauengruppe abgegeben. Das Bild des „Vaters“ war mir nicht mehr nachvollziehbar. Ich stürzte in eine tiefe Konfusion, die zwei Jahre später in einem Vakuum mündete. Ich entwickelte eine ausgeprägte Sehnsucht nach Spiritualität, mir fehlte die Meditation. Das Thema Kirche jedoch war für mich erledigt.
Ich fand in Augsburg eine Gruppe, die sich mit dem Buddhismus beschäftigte, an der ich dann teilnahm, da mich der Buddhismus schon früher interessiert hat. Ich stellte aber fest, dass der tibetanische Buddhismus mit seinen verschiedenen Buddhas und Heiligen und seiner Vielfalt und Buntheit mir keine Lösung für meine Probleme aufzeigen konnte und ich stieß auf Ayya Khema, eine deutsche buddhistische Nonne, die ein spirituelles Zentrum des Theravada-Buddhismus im Allgäu hatte, das Buddha-Haus. Ich nahm dort an mehreren Kursen teil und kann sagen, dass ich Buddhistin war.
(M): Was bedeutet das?
(W): Die Initiale ist das Zufluchtnehmen zu den „drei Juwelen“ (Buddha, Dhamma*, Sangha). Ich meditierte täglich, nahm an mehreren Meditationskursen und Retreats teil, es war eine schöne Zeit.
* „Der Theravada-Buddhismus bezieht sich auf den Pali-Kanon, die ursprüngliche Lehre des Buddha. In der Sprache Pali wird der Dharma als Dhamma bezeichnet.“
(M): Was war am Buddhismus noch attraktiv für Dich?
(W): Es gibt dort kein Gebet im Gegensatz zum Christentum. In meiner damaligen Situation konnte ich mich nicht mehr auf einen persönlichen Gott einlassen und fand es angenehm, nicht mehr beten zu „müssen“. Dabei konnte ich dennoch eine spirituelle Praxis finden und einen Leitfaden für mein Leben. Ayya Khemas Vorträge waren ja berühmt. Nach dem Tod von Ayya Khema war ich weiterhin Gast im Buddha-Haus. Nach dem „Erwachen“ geriet ich in eine große spirituelle Krise, die auch andere Mitglieder des Hauses betraf und die ich als die „dunkle Nacht der Seele“ bezeichnen möchte.
(M): War dieses Erwachen mit einer Art Sinnentleerung oder Sinnverlust verbunden?
(W): Ja, ich war in der Zeit danach total auf mich zurückgeworfen und habe mich dadurch über Wasser gehalten, dass ich viele Gedichte und Erzählungen geschrieben habe. eine Frau im Buddha-Haus, mit der ich mich gut verstand, unterstützte mich sehr, doch ich spürte, dass die Zeit des Buddha-Hauses für mich vorbei war und erlebte das gleiche Vakuum wie vor zehn Jahren. Ich habe mich dann von meinem Mann getrennt, und bin aus der katholischen Kirche ausgetreten.
Zwei Jahre später bin ich mit einem neuen Partner zusammengezogen. Meine christlichen Wurzeln meldeten sich wieder. Kurze Zeit später sang ich in einem Gospelchor der evangelischen Kirche und habe mich auch dadurch wieder mehr den christlichen Gedanken zugewandt.
Ein entscheidendes Erlebnis war, als Willigis Jäger 2005 in Augsburg in der Annakirche war und ich seinen Vortrag hörte. Ich wusste im selben Moment: „Das ist es“ und habe mich gleich für einen Kurs angemeldet. Im gleichen Jahr bin ich in die evangelische Kirche eingetreten und fand im Augsburger Annahof eine Kontemplationsgruppe. Ich ging zu Kursen bei Willigis, der mir nach dem zweiten Kurs sagte, ich solle in die WSdK eintreten. Dies war nach zwei Jahren so weit. Später wurde ich zur Kontemplationslehrerin ernannt und bin auch Leiterin meiner Kontemplationsgruppe in Augsburg geworden. Ich zog nach Neusäß, habe dort eine Meditationsgruppe übernommen, die jedoch mangels Interesse eingeschlafen ist. Die Gruppe im Augsburger Annahof besteht weiter, und ich biete auch Kontemplation am Samstag an.
(M): Kann man die Entwicklung so bezeichnen, wie sie oft zu sehen ist: von Jesus zu Buddha zu Jesus bzw. von Buddha zu Jesus? Was findest Du bei Jesus mehr? Aus welchen Quellen speist sich heute Deine Spiritualität?
(W): Prinzipiell wird mein Leben jetzt von der christlichen Spiritualität geprägt. Dies bedeutet aber, dass es auch Elemente gibt, die ich im Buddhismus schätzen gelernt habe, wie zum Beispiel das ausgeprägte Mitgefühl mit allen Wesen, was mich zu einer vegetarischen Lebensweise geführt hat. Auch mit dem Erlegen von Schnaken auf meinem Unterarm im Sommer bin ich etwas zögerlicher geworden (lacht).
Die Liebende-Güte-Meditation, wie ich sie bei Ayya Khema gelernt habe, ist immer Bestandteil meiner Kontemplation am Samstag.
Jesus und Buddha sind keine Gegensätze, sie sind für mich Brüder. Jesus ist für mich „wärmer“, herznäher. ein Unterschied ist, dass Jesus mehr bei den Armen ist. Er ist nicht als Fürstensohn aufgewachsen, sondern als Handwerker. Er plädiert für Gerechtigkeit, kennt die Armut, ist ein Gott der Armen. Bei Buddha ist alles „karmisch“.
(M): Die soziale Komponente, ist das eine Auswirkung der Lehre oder das Anliegen?
(W): Ich denke, beides. „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ oder „Was ihr dem Geringsten getan habt…“ So etwas gibt es in dieser Radikalität im Buddhismus nicht. Gerechtigkeit und vor allem Barmherzigkeit spielen bei Jesus eine große Rolle.
(M): Wie siehst Du die Zukunft der Menschheit, bzw. die menschliche Entwicklung in der Zukunft?
(W): Ich hoffe, dass immer mehr Menschen integral denken und handeln. Integral bedeutet nach Ken Wilber nicht auf der einen Seite die Praktiker und auf der anderen Seite die Mystiker, sondern diejenigen, die beides integrieren; also der/die Handelnde, egal ob Christ oder Buddhist.
(M): Der Gründer von Taizé, Frère Roger, hat in diesem Zusammenhang den Begriff Kontemplation und Kampf geprägt, was ja dem „Ora et labora“ entspricht.
(W): Ja, es ist eine tägliche Herausforderung, der wir uns stellen müssen, wobei wir eine spirituelle Einseitigkeit vermeiden sollten. Ich arbeite zum Beispiel seit Februar 2016 in der Flüchtlingshilfe, dort habe ich verschiedene Aufgaben übernommen, die unterschiedlichen Einsatz erfordern, die ich jedoch alle in demselben Geist erfüllen möchte. Ich fühle mich dort aber auch als Einzelne, weil die anderen Mitarbeitenden mit Spiritualität nichts am Hut haben.
(M): Nächstenliebe im Alltag ist ja nichts Spektakuläres, sondern ist ganz gewöhnlich, wie jemandem die Tür aufhalten, zum Beispiel.
(W): Ja, es muss eine durchgängige Grundeinstellung vorhanden sein.
(M): Was könnte das Motto Deines Tuns sein?
(W): Mein Motto ist das Kolibri-Prinzip, aus einer Parabel, die aus dem Afrikanischen kommt. In einem Wald brach ein großes Feuer aus und die Tiere flüchteten zum Fluss. Der Kolibri flog ebenfalls zum Fluss, nahm mit seinem Schnabel einen Tropfen Wasser auf und brachte ihn zum Feuer, um das Feuer einzudämmen. Unermüdlich, immer wieder. Die anderen Tiere lachten über seine vergeblichen Bemühungen und verspotteten ihn, „es bewirkt doch nichts“. Der Kolibri sagte: „Ich weiß, aber ich tue, was ich kann.“
(M): Welchen Halt gibt Dir Dein „Weg“?
(W): Halt gibt mir die Kontemplation, in der ich erleben kann, dass alles ist, wie es ist. Halt gibt mir auch, dass ich mich persönlich an Jesus wenden kann. Ich habe gute Erfahrungen mit dem Gebet gemacht und auch schon Hilfe im Gebet erfahren.
(M): Glaubst Du an einen personalen Gott?
(W): Nicht als Person, wie Du mir jetzt gegenüber sitzt, sondern als Urgrund allen Seins. Dennoch auch als trinitarischen Gott, der aus drei Personen besteht. Ich beziehe mich da auch auf Ken Wilber und die „integrale Spiritualität“, in der er die „Drei Gesichter Gottes“ beschreibt. Das hilft mir, manches zu verstehen.
(M): Was bedeuten Dir Rituale in Deiner Glaubenswelt?
(W): Wichtig ist mir das gemeinsame Gebet im Gottesdienst. Es ist sehr schön, in Gemeinschaft sich Gott im Gebet zu nähern. Wichtig sind mir auch Rituale, in denen ich meine Glaubenserfahrungen und meine Erfahrungen mit mir als Mensch ausdrücken kann, zum Beispiel das Körpergebet.
Noch zur Biografie: Seit fünf Jahren arbeite ich als Pfarramtssekretärin und kann mich gut in diese Arbeitsstelle einbringen; ich kann aktiv sein und in meinem Arbeitsbereich einiges bewirken. Zurzeit habe ich keine Beziehung, lebe alleine. Dadurch habe ich die Möglichkeit, Dinge, die mir wichtig sind, zu tun, ohne auf eine Partnerschaft Rücksicht nehmen zu müssen. Außerdem bin ich Oma und habe zwei Enkel, bald drei (lacht).
Ich möchte noch einige Worte zum Würzburger Forum der Kontemplation sagen:
Das Würzburger Forum der Kontemplation ist für mich eine Weggemeinschaft, die unter dem Dach der Kontemplation eine Vielfalt zulässt, wie man sie sonst in einer spirituellen Gemeinschaft selten findet. Und gerade das macht ihren Schatz aus - diese Vielfalt, in der wir uns in Offenheit und Toleranz bewegen und einander mit Wertschätzung begegnen können. Im Forum versuchen wir immer wieder über unseren Tellerrand hinaus zu sehen. Ein Ausdruck davon ist das Symposium, bei dem wir mit anderen Weggemeinschaften zusammen die ureigenen Anliegen der Kontemplation betrachten und darüber ins Gespräch kommen.
Ich bin gerne im Vorstand und erlebe unser Miteinander als wohltuend, offen und herzlich. Vor dem Symposium waren wir nicht immer einer Meinung und haben über manche Details heftig diskutiert. Das gemeinsame Ringen um eine konstruktive Lösung, mit der alle leben können, hat uns noch näher gebracht und aufeinander hören und voneinander lernen lassen.
((M): Und was gibt es heute zum Abendessen?
(W): Chinakohl Salat, Tomaten, Mozzarella und ein Baguette.
porta patet cor magis Die Tür steht offen, das Herz noch viel mehr
Dr. Dr. Peter Macher, geboren in Tübingen, lebt jetzt in Starnberg. Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Kontemplationslehrer der Linie „Wolke des Nichtwissens“, Betreuung und Therapie von traumatisierten Flüchtlingen aus islamischen Ländern.
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