Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)Lehrerinnen und Lehrer im WFdK |
Der nachfolgende Text ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung der Autorin/des Autors bzw. des WFdK. |
|
portraitiert von |
Unser wahres Selbst ist bedingungslose BejahungVorstellung eines langjährigen Lehrers Autorin: Elisabeth Müller 2012 ernannte Willigis Jäger den ehemaligen Franziskaner und langjährigen Kontemplationslehrer Fernand Braun zu seinem Nachfolger in der spirituellen Leitung des Benediktushofs, wo beide ansässig sind. Fernand Braun erlebte das als „erschütternd, denn ich wusste, es bleibt kein Stein auf dem anderen.“ Fernands Lebensweg war auch vorher von Zusammenbrüchen und Neuanfängen nicht verschont geblieben. Sie waren schmerzhaft und fordernd, schälten aber mit den Jahren die Erkenntnis aus ihm heraus, dass „unser wahres Selbst bedingungslose Bejahung“ ist. Im Verlauf von drei Lebensentwürfen wuchsen ihm der „Mut und eine gewisse Unerschrockenheit zu, der Bewegung oder auch der Sehnsucht zu folgen, die uns über das hinausführt, was uns die Welt verspricht. Johannes vom Kreuz nennt diese Sehnsucht das Erwachen Gottes im Menschen. Im Grunde ist das wie eine Führung aus der Mitte heraus.“ Doch beginnen wir von vorn, bei einem Bauernhof in Sankt Vith, in der ‚Schneifel‘, die bis 1918 zu Deutschland gehörte, aber nach dem 1. Weltkrieg als Reparation an Belgien abgetreten wurde. Dort wuchs Fernand als jüngstes von sechs Kindern inmitten weiter Wälder und Felder auf. „In unserem Dorf gab es Bauern und Waldarbeiter, einen Polizisten, einen Schmied und einen Lehrer. Da das Klima zwischen dem Hochmoorgebiet Venn und Schneeeifel rau ist und der Boden karg, lohnt sich die Ackerwirtschaft nicht. So betrieben auch meine Eltern Milchwirtschaft mit etwa 50 Kühen und Rindern – für damalige Verhältnisse schon ein Großbauer.“ Fernand Braun schätzt sich glücklich über seine unbeschwerte, behütete Kindheit als Sohn eines begnadeten Geschichtenerzählers und einer Kräuterfrau, unter deren kundigen Händen der Garten Jahr um Jahr wuchs und das Vieh und die Menschen gesundeten. Die Familie war katholisch, doch war die Religion für die Eltern weniger eine ‚Heilsfrage‘ als ein liberal-humanistisches Gebot, denn an erster Stelle stand stets der Mensch mit seinen Bedürfnissen, unabhängig von Herkunft und Religion. „Ich verbrachte meine Kindheit überwiegend alleine im Wald. Ich war praktisch täglich mit dem Hund draußen und liebte diese mystische Atmosphäre – die war für mich erschreckend und faszinierend zugleich. In unserem Dorf gab es keine Straßenlaternen, es war also stockfinster. Die Geräusche in der Nacht, die undurchdringliche Dunkelheit – all das hat mich sehr geprägt. Ich hatte immer das Gefühl von einer numinosen Präsenz. Ich konnte es spüren. Ich habe mir auch als Kind nie einen personalen Gott vorstellen können. Ich stand mittendrin. Wohin ich schaute, es war ein Staunen und tiefes Erleben.“ Der enge Kontakt zur Natur durch das Landleben und durch die Mutter beeinflusste Fernands erste Berufswahl, wie die der Geschwister, die alle in der Medizin tätig sind. Er studierte in Lüttich Biologie und sagt: „Damals würde ich mich als Agnostiker bezeichnen. Ich hatte überhaupt keine religiöse Praxis.“ Dennoch empfand er ein einschneidendes Erlebnis im zweiten Semester als „Weckruf“. Er hatte einen Autounfall, bei dem er quer über vier Fahrbahnen geschleudert wurde und überlebte. „Ich war bereit zu sterben, und anschließend empfand ich eine tiefe Dankbarkeit und eine Präsenz, die von innen kam. In mir war etwas aufgebrochen. Ich konnte eine neue Ebene wahrnehmen, aber nicht benennen. Gleichzeitig blieb eine Unruhe, aus der sich eine tiefe Sehnsucht entwickelte. Ich wusste: Das Leben ist kein Fantasialand, in dem es vieles zu entdecken gibt. Damals legte sich ein tiefer Ernst auf mein Leben. Meine beruflichen Pläne zerbrachen.“ Fernand Braun wechselte das Studienfach und begann mit Wirtschaft. Aber die Sehnsucht blieb und führte nach dem zweijährigen Vorstudium zu einer erneuten Wende. „Der Fernand spinnt“„Es war an einem Abend, als ich in der Unibibliothek lernte und plötzlich, wie mit Geisterhand ein Werk über Franz von Assisi aus dem Regal zog. Ich war völlig gefesselt und hatte am nächsten Morgen die 600 Seiten durch. Danach war mir klar: Das möchte ich.“ Rückblickend weiß er, dass diese inneren Anstöße von selbst geschehen und es darum geht, ihnen zu folgen. „Loslassen“, so Fernand Braun, „ist dieser Dreierschritt: Lass als erstes zu, was geschieht. Öffne dich dem Geschehen, ohne dich darin zu verlieren; aber geh auch nicht weg. Bleib da. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch vom ‚Herzen des spirituellen Kriegers‘. Er ist nicht jemand, der hineinschlägt und kämpft, vielmehr kann er da bleiben und dem Geschehen in sich Raum geben.“ Als er in den Orden eintrat, ließ er eine langjährige Liebesbeziehung los, von der er sich bereits entfremdet hatte. Er folgte dem Ruf seines Herzens gegen den Willen seiner Familie, die ihn nicht verstand, so dass er immer wieder zu hören bekam: „Der Fernand spinnt.“ „Franziskaner wurde ich, weil mich die tiefe Verbundenheit des hl. Franziskus mit der Natur und den Menschen sehr berührte. Der Sonnengesang gehört zu den großartigsten mystischen Texten und lässt mich immer noch erschauern. Und seine Friedfertigkeit allem, dem Baum, dem Wurm und jedem gegenüber, auch dem Sultan der Sarazenen*, ist beispiellos.“ * Bei der Befreiung der heiligen Stätten in Jerusalem drohten die Sarazenen die Christen vernichtend zu schlagen, dabei waren viele gefangen genommen worden. Franziskus setzte sich für sie ein, indem er zum Sultan ging. Die Begegnung zwischen dem Sultan und Franziskus muss so überzeugend gewesen sein, dass Ersterer die Gefangenen frei und die Christen aus Jerusalem abziehen ließ ohne einen zu töten. Auf die Faszination folgte die Ernüchterung: „Als erstes musste ich lernen, dass die Franziskaner nicht Franziskus sind.“ Er rang also weiter mit der Frage: Ist es das, was ich will? Die Antwort kam bei einer Militärwallfahrt nach Lourdes, als er während des Postulats seinen Wehrersatzdienst als Sanitäter leistete. Er verbrachte die Nacht in der Grotte und stieg anderntags übermüdet mit Freunden in die Pyrenäen hinauf. In der Dichte der Landschaft und inmitten dieses überwältigenden Panoramas riss der Schleier seines Verstands für einen Moment auf, er erlebte sich hinausgehoben und gleichzeitig so vollkommen präsent, dass er das Bild bis heute in allen Einzelheiten beschreiben kann: „Gegenüber donnerte eine Lawine herunter, oben zog eine Wolke vorbei, Menschen mit Eseln waren im Tal zu sehen. Die äußere, ‚alte‘ Welt zerbrach völlig und eine andere Wirklichkeit stand in einem gleißenden Licht vor meinem inneren Auge. Ich empfand das als Bestätigung, die ‚Welt‘ hinter mir zu lassen.“ Es geht um die Praxis, nicht um die WissenschaftEr blieb seinem Gehorsamsgelübde zunächst treu und absolvierte ein Theologiestudium an die Uni Bonn und am Institut catholique in Lyon, das seinen Zweifeln allerdings neue Nahrung gab. Bis er während eines Praktikums im Zentrum von Enomiya Lassalle mit Zen und Kontemplation in Berührung kam und wiederum eine deutliche innere Antwort erhielt: „Das ist der Weg. Es geht um die Praxis, nicht um die Wissenschaft.“ Er nahm an einem sechswöchigen strengen Retreat teil, unterstützte die Seelsorge und hatte in der Pfarrei zu predigen. Da habe er gestaunt, erzählt er, als er sich selbst mehr über seine Erfahrungen auf dem Kissen als über die heilige Schrift reden hörte. Bald lernte er Willigis Jäger kennen und blieb drei Jahre als Hausgast im Haus St. Benedikt in Würzburg. Er saß praktisch in jedem Kurs mit und machte auch eine Ausbildung zur Initiatischen Therapie bei Pieter Loomans, wodurch ihm Leibarbeit und Traumarbeit ergänzend zur Kontemplation wichtig wurden. Die intensive Zeit im HSB brachte eine tiefgreifende Veränderung mit sich. Er merkte, dass das Kloster in der kölnischen Franziskanerprovinz nicht mehr sein Zuhause war und die Liebe zur Frau neu in ihm erwachte. „Willigis hat meine inneren Kämpfe bemerkt und nahm mich mit in seine Einsiedelei nach Spanien. Dort fiel die endgültige Entscheidung: Die Spiritualität führt auf den Marktplatz und wird damit gleichzeitig tiefer.“ Im Grunde hatte er sich schon vom Orden fortentwickelt, wo sein Amt als Leiter der Glaubensinformation Fides in der Diözese Köln und seine Tätigkeit in der Erwachsenenbildung „knallharte Theologie“ von ihm forderten, die er mit seinem Praxisweg nicht mehr in Einklang bringen konnte. Ohne zu wissen, was kommen sollte, ließ sich Fernand auch diesmal von dem inneren Impuls führen und weiß heute: „Das ist der zweite Schritt: Lass Dich ein! Nun beginnt der Weg. Wir folgen keinem Konzept und keiner Vorstellung, sondern der Bewegung oder der Sehnsucht, wie einer Führung aus der Mitte heraus. Aber ich möchte da vorsichtig sein. Wir können und sollen das Göttliche an nichts binden. Es ist nicht einfach zu verstehen; sobald wir von Gott sprechen, wird das Göttliche zu einem Gegenüber, das uns führt. Unser Grund und Gottes Grund ist ein Grund, sagt Eckhart. Und doch scheint es so etwas wie eine Entwicklung zu geben. Manchmal unterscheiden wir zwischen Mystik des Seins und Mystik des Werdens. Es ist beides: Ruhe und Bewegung, wie es im Thomasevangelium heißt.“ Er verliebte sich in die Gärtnerin Der Bruch mit dem zweiten Lebensentwurf war verheerend. „Der Riss ging quer durch meine Familie und durch mein Herz.“ Wiederum gegen den Willen der Eltern verließ er nach 13 Jahren den Orden und auch diesmal hieß es: „Der Fernand spinnt.“ Aber er vertraute seinem Herzen und ahnte, dass eine weitere Schale in seinem Leben aufgebrochen war und er gar keine andere Wahl hatte, als dem, was sich nun zeigen wollte, mutig zu folgen. Zunächst zog er in den Schwarzwald auf den Sonnenhof, wo er mit der Anstellung als Hausmeister sein Auskommen hatte und wieder nahm er an allen Kursen teil. Eines Tages wurde ihm bewusst, dass er sich in die Gärtnerin verliebt hatte: „Wir saßen täglich nebeneinander im Zendo. Nach vier Jahren gemeinsamen Sitzens und Ringens entschieden wir uns für eine Familie.“ Als zwei Kinder auf der Welt waren, fiel ihm die Aufgabe zu, sich um sie zu kümmern. Und wenn er über seinen 15jährigen Sohn und die 13jährige Tochter spricht, die er in ihrer Entwicklung eng begleitet, hört man, dass in dieser Zeit eine innige Verbindung zu ihnen gewachsen ist. Noch während der Familienphase begann er indes mit seiner eigenen Kurstätigkeit, die sich rasant ausweitete. „Wenn ich alle aufschreiben müsste, komme ich auf fast fünfzehn Orte, Wochenendkurse in den Pfarreien und Klöstern mitgezählt. Vor allem im deutschsprachigen Raum, aber jetzt kommen Italien, Spanien und Polen – Auschwitz – dazu.“ Ein Blick auf seine Homepage bestätigt dieses dichte Programm. „Leider“, so sagt er rückblickend, „war ich oft nicht bei meiner Familie. Ich habe zehn Jahre in einer anthroposophischen Einrichtung für Behinderte gearbeitet – auch in Leitungsfunktion. Damit hatte ich mehr als eine 40-Stunden- Woche. Dazu kamen Kurse in der Schweiz, in Österreich, in Südtirol und im Franziskanerkloster in Düsseldorf, wo ich bis heute regelmäßig bin.“ Sein Bedauern über die häufige Abwesenheit von zu Hause ist gepaart mit der Gewissheit, dass es nicht anders möglich war, wollte er sich und seinem Weg treu bleiben. Während dieses Spagats zwischen Familie und Beruf[ung] verlor die Ehe an gemeinsamem Boden. Die Frau hörte zu Fernands Kummer auf zu meditieren, während er ihrer Entwicklung zu Tanz und Körperausdruck nicht recht folgen konnte: „Ich habe mich von einer Brasilianerin in Samba und Meringue ausbilden lassen, aber mir taten nur die Füße weh, und ich war durch meine Zeit bei den Franziskanern dick und ungelenkig geworden.“ Gleichzeitig ist auch hier etwas Bleibendes gewachsen, denn Fernand bekennt: „Auch wenn wir nun getrennt sind, ich empfinde eine große Nähe zu ihr. Mich zu lieben wie meinen Nächsten heißt für den anderen nicht mehr, als das andere Ich zu sehen, sondern als ‚mich selbst’ zu erfahren.“ Das Leben ist ein ständiges Fließen und ich lasse michAls Willigis Jäger Fernand Braun 2012 zu seinem Nachfolger ernannte, war dies zunächst für Fernand Braun erschütternd, ahnte er doch, dass dies der nächste Bruch war: „Den Schritt heraus aus der Arbeit mit den Behinderten und aus der Ehe, die keine mehr war. Und ich wusste, es bleibt kein Stein auf dem anderen.“ Nachdem er inzwischen ein Jahr auf dem Benediktushof lebt, hat sich diese Vermutung bestätigt und er muss bei seiner regen Kurstätigkeit und dem fehlenden Privatleben nach Lücken im Terminkalender suchen: „Ich bin im Benediktushof so intensiv eingebunden, dass ich Gefahr laufe, meinen Kindern nicht gerecht zu werden. Ihnen ist es hier zu still, deshalb muss ich mir Zeiten freihalten, um sie besuchen zu fahren.“ Seine Beziehung zu Willigis Jäger bestätigt die Richtigkeit seiner Ernennung in dessen Nachfolge und es geht einem das Herz auf bei dieser Schilderung: „Willigis ist für mich mehr als mein Lehrer. Jeder gemeinsame Tag – und wir sind sehr viel zusammen – ist ein Tag der Unterweisung. Wir meditieren gemeinsam, wir gehen gemeinsam spazieren, wir gehen shoppen, Kaffee trinken. Auch die banalen alltäglichen Dinge sind wie ein Augenblick der Übung. Nur zu sein, was ich bin und zu geben, was ich habe! Die Nelke blüht, die Amsel singt! Welch ein Wunder.“ Gleichzeitig zeigt sich Fernands eigenes Anliegen für die Kontemplation deutlich in seinen Kursen und Vorträgen: „Meine Ausrichtung betont vor allem das Herz. In meinen Kursen praktiziere ich täglich die Meditation der Liebenden Güte und des Mitgefühls. Die Essenz der Kontemplation ist die gegenstandslose Meditation. Aber eine meiner wesentlichen Erfahrungen auf dem kontemplativen Weg ist eine ‚Herzerfahrung‘, die meinen Weg nachhaltig geprägt hat. Die nonduale Erfahrung, die am Anfang meines Weges steht, hat eine andere Qualität und ich nehme sie unterschiedlich wahr.“ Damit bleibt er seiner Einsicht treu und setzt den dritten Schritt des dreifachen Loslassens in die Tat um. Er weiß nämlich: „Im Sinne der Mystik gilt es auch das Sein und das Nichts zu überschreiten. Die Erfahrungen hinter sich lassen heißt die ständige Herausforderung. Im Grunde ist es dies: Geh weiter. Bleib nicht stehen. Das Leben ist ein ständiges Fließen und ich lasse mich.“ Elisabeth Müller, |