Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)

Aus der Praxis für die Praxis

 

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Der etwas andere Zen-Übungstag

Autorin: Anna Osterkamp-Brändle

Auf Initiative von Cornelius von Collande sucht eine Gruppe von Menschen, die miteinander praktizieren und wachsen wollen, nach Formen der Zen-Meditation, die zu einer stärkeren Einbindung der spirituellen Übung in den Alltag führen könnten.

Wie alles begann

Ein Foto, aufgenommen an einem sonnigen Herbsttag, prägt sich tief ins Gedächtnis ein: Eine ca. 2 km lange Laderampe führt pfeilgerade auf ein großes Tor zu, darüber ein Wachturm, rechts und links hohe Backsteinmauern – das Eingangstor zum Konzentrationslager Auschwitz. Auf beiden Seiten der Selektionsrampe Menschen in Meditationshaltung, ausgestattet mit Sitzkissen, Iso-Matten, Klappstühlen, Decken. Einer von ihnen ist Cornelius von Collande während des Auschwitz-Retreats im November 2011.

Die Gruppe wurde begleitet von Bernie Glassman Roshi und seinem Team, aber – es gab keine Lehrer. Cornelius: „Der Lehrer war Auschwitz. Ein mächtiger Lehrer, dem man nur schweigend begegnen kann, in der Stille haltend, was das Ich nicht zu fassen vermag. Wir lauschten dem Lehrer, indem wir meditierten, die Namen der Ermordeten rezitierten und bei den Baracken, Gaskammern und Krematorien jüdische, christliche und buddhistische Rituale vollzogen.“

Die Erfahrungen dieser Tage haben Cornelius zutiefst ergriffen und nach seinen eigenen Worten „aufgeweicht“; er verspürte den Wunsch, auch in Würzburg, zusätzlich zu den „traditionellen“ Zen-Angeboten, eine Gruppe zu initiieren, die versuchen würde, Spiritualität und soziales Engagement miteinander zu verbinden.

Dr. Cornelius von Collande ist Psychotherapeut mit eigener Praxis in Würzburg und Zen-Lehrer der Linie Leere Wolke Willigis Jäger. Er lebt mit seiner Frau Blandina am Benediktushof in Holzkirchen. Hier und an anderen Orten bietet er Zen-Sesshins, Kurse für Stressbewältigung durch Achtsamkeit (MBSR) und einzelne Zen-Übungstage an.

Noch ganz unter dem Einfluss seiner Eindrücke in Auschwitz, lud Cornelius Ende 2011 eine Gruppe von Freunden und Bekannten zu einem ersten Treffen ein – etwa 20 Menschen folgten seiner Einladung. Cornelius stellte das Projekt vor, und es kam zu einem offenen Austausch über mögliche Betätigungsfelder.

Zum Beispiel berichtete eine Teilnehmerin über ihre ehrenamtliche Arbeit in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende, Würzburg, ein anderer über seine Erfahrungen in der Hospizarbeit.

Es wurden weitere Zusammenkünfte vereinbart, die dann allerdings wegen des großen Interesses dankenswerterweise an den Benediktushof verlegt werden konnten. Hier finden vier Mal jährlich offene Zen-Übungstage im Sinne der Zen Peace - makers statt, zu denen sich immer um die 30 Menschen einfinden.

Die Zen Übungstage

Während anfangs die Verbindung von Spiritualität und sozialem Engagement im Mittelpunkt stand, hat sich der Schwerpunkt im Laufe der folgenden Übungstage etwas verlagert. Soziale Aktivitäten stehen zwar nach wie vor im Blickpunkt, werden aber nicht „abgefragt“. Die Zielsetzung ist stärker auf Übungen einer gewaltfreien, nicht wertenden Kommunikation und auf das Sitzen in der Stille ausgerichtet. Man möchte erproben, inwieweit es möglich ist, die ethischen Werte des Zen stärker ins stille Sitzen einzubinden und in welcher Form ein Austausch „von Herz zu Herz“ geübt werden kann, bei dem jede, jeder sich gehört fühlt und ihre, seine Wahrheit – jetzt in diesem Augenblick – kommunizieren darf. „Wie können wir die Zen-Praxis ganz konkret in den Alltag hinein bringen?“ heißt die Fragestellung.

Inspiriert von den Zen Peacemakers um Bernie Glassman entwickelte sich eine stark formalisierte und gruppenorientierte Form des Sich-Mitteilens, das „Council“, das immer von stillem Zazen und achtsamem Gehen eingerahmt ist.

Ein Gegenstand, z. B. ein Stab, gibt demjenigen, der ihn hält, die Erlaubnis zu sprechen und seine Wahrheit in die Mitte zu stellen, ohne Kommentar der anderen, ohne Diskussion, ohne gute Ratschläge. Der/die Stabträger/in spricht, die Gruppe hört zu – wertfrei, mit Wohlwollen und offenem Herzen. So kann sich eine liebevolle, angstfreie Atmosphäre entwickeln, die Mut macht, sich zu zeigen und mitzuteilen, auch zu heiklen Themen, die wir eigentlich lieber verstecken. Es ist die konkrete Umsetzung eines Gelübdes der Zen Peacemakers, das da lautet: „Ich gelobe, mit meinem Herzen zu hören und aus meinem Herzen zu sprechen. Das ist die Praxis, nicht zu lügen.“

Struktur der Übungstage

Die Zen-Übungstage folgen einer klaren Struktur. Zunächst gibt Cornelius eine Einführung in die drei Grundsätze Nichtwissen, Zeugnis ablegen, Liebende Handlung, gefolgt von Sitzen in der Stille und meditativem Gehen. Die anschließenden 20 Minuten sind dem Kernthema des vorangegangenen Treffens vorbehalten: Rückblick, Erinnerung, Council. Diese Kernthemen werden aus den „Zehn Übungen oder Gelübden eines Zen Peacemakers, einer Zen Peacemakerin“ (basierend auf den zehn Geboten der Zenbuddhistischen Tradition) ausgewählt. Sie gelten nicht als unumstößliche Gebote, sondern eher als Vorschläge, Anregungen. Es geht darum, sich der wechselseitigen Abhängigkeit von Einheit und Verschiedenheit bewusst zu werden. So sagt zum Beispiel das erste Gelübde: „Ich bin mir bewusst, dass ich nicht getrennt bin von allem, was ist. Das ist die Übung, nicht zu töten“.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen hält Cornelius einen weiteren Vortrag über ein neues Kernthema, beispielsweise „Akzeptieren was ist“, das dem 6. Gebot der Zen Peacemakers entspricht: „Ich bemühe mich, in jedem Moment alles zu akzeptieren, wie es ist. Das ist die Übung, nicht über die Fehler und Irrtümer anderer zu sprechen.“ Auch hierauf folgen wieder Zeiten des Sitzens in der Stille und meditatives Gehen mit anschließendem Council in der oben beschriebenen Art und Weise.

Das Grundprinzip des Teilens

Auch in der konkreten Umsetzung folgen die Übungstage dem Grundprinzip des Teilens. Die Menschen teilen miteinander, was sie mitgebracht haben: das Mittagessen, innere Befindlichkeiten und Anliegen, Gedanken, Gefühle, Ideen, auch materiellen Reichtum, Geld. Es wird keine Kursgebühr erhoben, sondern eine Spende (Richtwert 30,– € pro Tag); der Erlös – meistens kommen mehrere Hundert Euro zusammen – wird an ein Projekt der Zen Peacemakers überwiesen. Auf diese Weise wird unter anderem ein Council Training für Friedensaktivisten in Ruanda mitfinanziert und ein Haus mit Kriegsflüchtlingen in Damaskus mit Geld für Nahrung und andere überlebensnotwendige Hilfsgüter unterstützt.

Der achtsame, warmherzige Umgang miteinander und die Bereitschaft zu teilen schafft einen gemeinsamen Raum, der die Unterschiedlichkeit der Teilnehmer aufnimmt und gleichwertig nebeneinander stehen lässt. Die gleichzeitige Schulung der Wahrnehmungsfähigkeit führt zu Verständnis und Verbundenheit, menschliche Qualitäten, die auch den Alltag bereichern und konfliktfreies Zusammenleben erst möglich machen.

Abschluss

Die Übungstage werden jeweils gegen 17.00 Uhr mit einer Rezitation beendet:

Das Gelübde der Menschheit
besänftigt und gefasst
lasst uns erwachen zum wahren Selbst,
völlig Erbarmende werden,
völlig unsere Fähigkeiten nutzen,
wie immer es unserer Berufung entspricht;
das Leiden erkennen
von Mensch und Gesellschaft
und die Wurzel des Leidens;
die richtige Richtung erfassen,
wohin die Geschichte gehen soll.
Wir reichen einander die Hände,
miteinander verwandt,
weit jenseits der Unterschiede
von Rasse, Nation und Klasse.
Lasst uns voll Mitgefühl geloben,
dass wir unser tiefes Verlangen
nach Befreiung verwirklichen
und eine Welt gestalten,
in der alle leben können
in Wahrheit und Fülle.

Ein Tag in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende in Würzburg

Im September 2013 setzten sich 16 Frauen und Männer der Gruppe der Lebenssituation von Asylsuchenden in der ehe - maligen Adolf-Hitler-Kaserne in Würzburg aus. Die GU ist ein langgestrecktes abweisendes Gebäude, mit Stacheldraht umzäunt und an einer lärmigen Schnellstraße gelegen. Am Eingang wurden die Personalausweise überprüft. Als Gruppenraum diente ein schmuddeliger Raum, in dem eine der Teilnehmerinnen wochentags Deutschunterricht gibt. Die Atmosphäre ist bedrückend. Nach einer Sitzrunde berichteten Cornelius und Andrea über die Schicksale von einigen Bewohnern. Es wurden Fotos gezeigt, später auch aus einem Buch von Janne Teller „Krieg – stell dir vor, er wäre hier“ vorgelesen. Eine der Teilnehmerinnen schreibt: „Meine Verzweiflung ist nur zu halten durch die Stille, in der wir sitzen und das stille einfache Gehen, im Schweigen, im Saal, wo wir auch das Mittagessen teilen werden.“

Es kam an diesem Tag nicht zu persönlichen Begegnungen mit den Bewohnern der GU, aber die Gruppe berät über ein Projekt, wie die tristen Außenanlagen in Zusammenarbeit mit ihnen einladender gestaltet werden könnten. Auch wurde der Erlös der Tagesspende der Organisation Vivovolo e.V. zur Unterstützung der Asylsuchenden überlassen. Auf diese Weise ist der ursprüngliche Impuls von Cornelius, die Zen-Praxis mit sozialem Engagement zu verbinden, bereits ein Stück weit konkrete Wirklichkeit geworden – ein berührendes Beispiel, wie die Übung auf dem Kissen uns immer wieder „auf den Marktplatz“ führt.

 

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Welkes Blatt, Foto: (c) Cornelius von Collande

Im Bewusstsein des Leides, das durch Ausbeutung, soziale Ungerechtigkeit, Diebstahl und Unterdrückung entsteht, bin ich entschlossen, liebende Güte zu entwickeln und Wege zu beschreiten, die zum Wohlergehen von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mineralien beitragen. Ich will Freigebigkeit praktizieren, indem ich meine Zeit, Energie und materiellen Mittel mit denen teile, die in Not sind. …
(Thich Nhat Hanh, Der Zweite Übungsweg der Achtsamkeit)

 

Anna Osterkamp-Brändle,
geb. 1941, Lehrerstudium auf dem 2. Bildungsweg mit Schwerpunkt Psychologie, Kunst und Deutsch Ausbildungen im Bereich Humanistische und Transpersonale Psychologie. Klinikseelsorge, Hospizarbeit, Trauerbegleitung, Erwachsenenbildung. Seit 1987 Schülerin von Willigis Jäger. Kontemplationslehrerin der Wolke des Nichtwissens, Kontemplationslinie Willigis Jäger.

 

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