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Katharina Gassmann "Ich stecke mitten drin im Lebensabitur"
Vorstellung einer langjährigen Lehrerin
Autorin: Elisabeth Müller
Jedes Mal bin ich aufs Neue frappiert, wenn mir jemand, den ich schon länger kenne und dessen Anblick mir vertraut ist, erzählt, es gäbe eine Doublette von ihm, in diesem Fall von ihr. So geht es mir auch bei Katharina Gassmann, als ich vor meinem geistigen Auge beide, sie und ihre eineiige Zwillingsschwester zusammen Motorrad fahren sehe – unglaublich!
Sie sei eng mit ihr verbunden bis hinein in eine gemeinsame Tiefe, erzählt mir Katharina am Telefon, die auf Norderney eine Lungenentzündung auskuriert. Wenn sie hustet, meldet sich mein schlechtes Gewissen, ihr dieses lange Gespräch zuzumuten. Und es gebe noch eine weitere, ältere Schwester, die von den beiden weiter entfernt lebt und mit der ein verwandtschaftliches Verhältnis gepflegt wird. Alle drei wuchsen in Gelsenkirchen auf und wurden als erste Nachkriegsgeneration noch stark geprägt von den traumatischen Erlebnissen ihrer Eltern in den zurückliegenden Kriegs- und Hungerjahren.
Die Mutter kam als Rotkreuzschwester täglich mit dem Elend der verwundeten Soldaten in Berührung. An ihre Töchter gab sie die unerschütterliche Überzeugung weiter, dass ein Leben ohne Glauben nicht ginge, dass die Not nicht zu ertragen, das Leid nicht zu bewältigen sei, wenn einer sich nicht gehalten fühlt von dieser größeren Instanz, die wir Gott nennen.
Diese Zuflucht war auch für Katharina Gassmann selbstverständlich. „In jungen Jahren“, erzählt sie, „habe ich bei größten Schwierigkeiten über das Gebet Trost und Hoffnung erfahren. Aus dieser Sehnsucht nach Gott fand ich später meine Lehrer, die mich auf den inneren Weg führten und begleiteten.“ Die Mutter nahm die Kinder auch regelmäßig mit in die Messe und Katharina erinnert sich: „Wenn ich nach der Messe noch da blieb, entstand diese unheimliche Stille und ich kam in ein anderes Bewusstsein. Intuitiv habe ich schon damals gespürt, dass diese Stille der Punkt ist und habe angefangen, sie zu suchen.
Es gibt aber noch ein Erlebnis, das in dieser Hinsicht für mich einschneidend war. Mit sechzehn habe ich zum ersten Mal einem Patienten die Augen zugedrückt und mit einem Mal war sie da, diese große Stille, die auf den letzten Atemzug folgt. Eine unglaubliche, fast greifbare Präsenz breitete sich aus, und ich habe eine hohe Macht gespürt, eine ganz einzigartige Stimmung. Diese Erfahrung hat mich inspiriert, die Stille zu suchen.“
Katharinas Vater war im Bergbau tätig und erlitt früh, als die Tochter noch die Grundschule besuchte, eine fortschreitende, vermutlich beruflich bedingte Erblindung, die zu seiner Erwerbsunfähigkeit führte. Damit stellte die Aufgabenteilung in der Familie die geltenden Rollenvorstellungen auf den Kopf, denn fortan brachte die Mutter als OP-Schwester das Geld nach Hause, während der Vater die häuslichen Arbeiten erledigte. Er zog die drei Töchter groß, begleitete sie zur Schule, stand ihnen bei den Hausaufgaben zur Seite, und übernahm das Kochen so gut er es eben verstand, räumt Katharina ein, denn die Mutter habe noch einiges nach Dienstschluss im Haushalt zu erledigen gehabt.
Erst viel später, als sie selbst als berufstätige Mutter vierer Kin der all die vielen Aufgaben, Ansprüche und Erwartungen zu erfüllen hatte, sei ihr bewusst geworden, was für eine Beanspruchung diese Doppel- oder Dreifachbelastung ihrer eigenen Mutter mit dem kranken Mann zu Hause bedeutet hat. Somit empfand es die Familie sicher als Entlastung, dass die Zwillingstöchter schon mit sechzehn ins Internat der Schwesternvorschule in Gladbeck umzogen, um anschließend auf der Krankenpflegeschule ihre Laufbahn zu beginnen. Als sie das Examen in der Tasche hatte, brach Katharina aus dem heimischen Umfeld aus und ging für ein Jahr ins Ausland, nämlich nach Luzern.
Seitdem ist viel Zeit vergangen, Katharina Gassmann ist inzwischen 36 Jahre verheiratet und hat neben dem eigenen Sohn drei weitere Kinder großgezogen, die der jung verwitwete Mann mit in die Ehe brachte.
Als Fachkrankenschwester brachte sie die organisatorischen und fachlichen Voraussetzungen mit, um in der Zahnarztpraxis ihres Mannes mitzuarbeiten. 25 Jahre lang habe sie sich eingesetzt, wo sie gebraucht wurde, als Zahnarzthelferin ebenso wie im Management oder beim Saubermachen.
Neben der gemeinsamen Arbeit in der Praxis erzog das Ehepaar die vier Kinder und war sich in Erziehungsfragen stets einig, was Katharina Gassmann als Geschenk erlebte. Zwei Söhne haben ebenfalls eine medizinische Laufbahn eingeschlagen und es hat sich inzwischen ein Enkel eingestellt.
Trotz der Beanspruchung durch Familie und Praxis fühlte sich Katharina nicht erfüllt, denn von Jugend an hatte sie danach gestrebt, der Gemeinschaft mit einer Aufgabe zu dienen, bei der ihre tiefe religiöse Anbindung und Erfahrung einfließen konnten. Sie sagt dazu: „Ich bin ein religiöser Mensch, der stets versucht, Gott in sich aufleben zu lassen.“
Ihre Yogalehrerin ermutigte sie zu einer Yogalehrerausbildung, bei der Katharina Antworten fand, nicht zuletzt, indem sie mit Zen in Kontakt kam. Schon bald schloss sie sich in Essen Johannes Kopp an, einem katholischen Pater, dessen Japanaufenthalt in der gleichen Zeit liegt wie der von Willigis Jäger, und der es sich wie dieser zur Aufgabe machte, Zen und Christentum als spirituelle Erfahrungswege zu lehren. Drei Jahre saß Katharina in Pater Kopps Gruppen mit, aber als sie Willigis Jäger im Jahr 1990 an einem Wochenendseminar während ihrer Ausbildung kennenlernte, war die Entscheidung, seine Schülerin zu werden, schnell getroffen.
Es folgten viele Jahre, in denen sie Kurse im Haus St. Benedikt in Würzburg besuchte. Daraus ist schließlich ihre eigene Kurstätigkeit erwachsen, denn neben Yoga lehrt sie in Kirchhellen und Gladbeck Kontemplation und Zen und gestaltet zweimal im Jahr einen Tag mit Vortrag und Sitzen in der Stille für Schüler der Aikido-Ausbildung im Jugendkloster Bottrop. Einmal im Jahr leitet sie mit Willigis Jäger und Ulrike Leiber, der sie sich in großem Dank verbunden fühlt, einen Kurs „Ostwestliche Weisheit“ am Niederrhein, in Hombroich-Neuss.
Das Ziel ihres Engagements beschreibt sie mit den Worten „auch andere zur inneren Einheit, Freiheit und Lebensüberlegenheit zu führen“, weil wir Menschen doch, wie Pater Willigis es so treffend ausdrücke, eine Weggemeinschaft sind, bei der es auf jeden ankommt. Auf meine Frage, welches für sie die Verbindung von Yoga und Meditation sei, sagt Katharina: „Ich kann mich nur im Körper erfahren, denn mein spiritueller Körper ist untrennbar mit meinem physischen Körper verbunden. Erleuchtung ist die Auflösung von der gedachten Trennung zwischen Mensch und Gott. Du Gott und ich Mensch sind eins.“ Auf ihrem eigenen inneren Weg lässt sie sich von der Chakrenlehre führen, um in ihrer jeweiligen Lebenssituation Antworten und Heilung zu finden.
Ihre Berufung fand sie jedoch, indem sie vor 29 Jahren einer deutlichen inneren Stimme folgte und in der Stadt Gladbeck – die sie übrigens für dieses Engagement mit der goldenen Plakette auszeichnete – ein eigenes Projekt zur Krebsnachsorge ins Leben rief. Als sie davon spricht, wird ihre Stimme ganz lebendig und bei der empörten Feststellung: „Man kann doch die armen Patienten nach der Chemo oder den Operationen nicht einfach allein lassen“, spüre ich, wie tief sie mitfühlt. Genau das sei aber ihre Erfahrung als Krankenschwester, dass Krebspatienten ohne Nachsorge entlassen werden. Sie bekämen ihre Diagnose, die Behandlungen und blieben dann sich selbst überlassen.
Katharina Gassmann entwickelte daher ein auf ihren eigenen Fähigkeiten basierendes Konzept für eine langfristige Nachsorge, die sowohl Yoga und Kontemplation einbezieht, als auch Gesprächstherapie, spirituelle und in manchen Fällen sogar Sterbebegleitung. Sie habe den Menschen viel Angst vor dem Tod genommen und wurde, nicht nur einmal, von den Sterbenden gebeten, anstelle des Pastors die Grabrede zu halten. Neben den wöchentlichen Treffen steht sie den Teilnehmern ihrer Gruppe rund um die Uhr telefonisch als Begleiterin zur Verfügung und erfüllt damit ihren inneren Auftrag, sich um Krebskranke zu kümmern. Ja, es käme auch mal vor, dass jemand nachts anruft, doch sei diese Arbeit keineswegs einseitig. „Es ist Geben und Nehmen. Ich bekomme auch ganz viel. Es entsteht eine sehr nährende Nähe, eine tiefe Verbundenheit. Ich habe dadurch tolle Freundinnen gewonnen.“
Beim Aufbau dieses Projekts halfen Katharina bereits bestehende Verbindungen zu Krankenhäusern und Ärzten. Sie sei zum Bürgermeister gegangen und habe ihn nach einem Raum für ihre Gruppenarbeit gefragt. Schließlich war es der Stadtsportverband, der Mitte der 80er Jahre mit ihr gemeinsam die Rubrik „Yoga als Therapie in der Krebsnachsorge“ entwickelte und die Gruppe bis heute beherbergt. Nach dem Katharina ihre Flyer mit dem Kursangebot in Praxen und Krankenhäusern ausgelegt hatte, kamen die ersten Teilnehmerinnen, meistens mit einer Brustkrebsdiagnose, und viele sind über Jahre bei ihr geblieben.
Abgesehen von ihren Kursen gehe es ihr aber in ihrem Alter – sie ist im letzten Jahr 65 geworden, wirkt jedoch wie viele Yoga Praktizierende jünger – noch mal verstärkt um die innere Arbeit, die sie gar nicht mehr loslasse. „Ich erlebe mich, als steckte ich mitten im Lebensabitur“, sagt sie und macht mich neugierig. Ja, es gebe noch so viel zu schleifen, wenn sie ihr Inneres mit einem lupenreinen Diamanten vergleiche. Jeden Augenblick wolle sie als einen neuen Anfang erleben, Umstände und Menschen nehmen, ohne zu werten und keinen Moment nachlassen in der Verantwortung für den Zustand des eigenen Geistes.
Und dazu binde sie sich immer wieder an die Stille an, die sie auch sehr intensiv beim Motorradfahren erfährt, wenn sie auf ihren Touren mit der Zwillingsschwester oder dem Mann, wie neulich über die Pässe der Dolomiten, diese Präsenz, diese Stille spüre und das gleiche passiere, was auf dem Meditationskissen passiert.
Elisabeth Müller, aufgewachsen als Pfarrerstochter in Mexiko-City. Lebt mit Mann und Sohn in der Nähe von Frankfurt; ein weiterer Sohn ist epilepsiekrank. Literaturübersetzerin und Lektorin für Spanisch und Französisch und Schülerin von Willigis Jäger. Kontemplationslehrerin im WFdK, Ausbildung in transpersonaler Prozessarbeit "Schritte ins Sein" bei Richard Stiegler. Gibt Kontemplationskurse und begleitet Einzelne auf dem inneren Weg. E-Mail: , Internet: Link
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