Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)

Kontemplation, was ist das?

 

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Raimon Panikkar

Die Bedeutung der Kontemplation - Der kontemplative Weg

Der vorliegende Text ist eine Zusammenstellung von Aussagen aus dem unveröffentlichten Vortrag "Die verwandelnde Kraft der Kontemplation", den Raimon Panikkar 1992 in München gehalten hat.

Kontemplation ist ein Wort, das ich wiedergewinnen möchte. Es ist ein Wort mit einer langen Geschichte. Kontemplation ist die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes Theoria. Vielleicht war es die Intuition des genialen Übersetzers, die zu dieser Übersetzung führte. Vielleicht spürte er, dass mit der platonischen Welt allein, mit der Wirklichkeit der Ideen als der einzig wirklichen Welt, das Leben nicht gelebt werden kann. Theoria wurde also nicht als, wie wir sagen, Theorie übersetzt, sondern als Kontemplation. D. h. als ein in jenem Tempel (Templum) Wohnen und Leben, von dem aus die Wirklichkeit sichtbar und verwandelbar ist.

Der Kontemplative ist der Inwohner eines heiligen Ortes, von wo aus die Welt, die Umwelt gesehen und auch gleichzeitig verwandelt werden kann. Es ist ein Lebensstil, eine Art des Lebens, vielleicht die reinste Teilhabe am Leben. Deshalb – um kontemplativ zu sein – genügt es nicht, dass man die Zeichen des Himmels, die Zeichen der Zeiten oder die Bücher studiert, die uns über unser Selbst oder die Weltlage oder die Kultur berichten, sondern wir müssen auch an den Lebensbereichen teilnehmen, die wir studieren. Wir müssen uns in dieser Teilnahme mitteilen – vollkommen bewusst, dass diese Mitteilung gleichzeitig das Schicksal der Geschehnisse verwandelt. Die alte chinesische Weisheit sagt, dass nur die absolute Transparenz und Aufrichtigkeit, die wahre Kontemplation, Verwandlungskraft besitzt. Nur in der völligen Transparenz und Aufrichtigkeit im kontemplativen Sinne können Menschen ihre eigene Natur erreichen und dadurch die Teilhabe am Leben, am Quellgrund des Lebens und seiner Wirkkraft erlangen. Haben die Menschen ihre eigene Natur erreicht, so können sie helfen, die Natur der anderen zu entfalten. Haben sie die Natur der anderen entfaltet, so können sie die Natur der Dinge zu ihrer Fülle verwandeln. Haben sie die Natur der Dinge verwandelt, so können sie zur Verwandlung der irdischen Prozesse beitragen. Wirken sie an den Prozessen des Himmels und der Erde mit, so können sie eine Trinität mit dem Himmel und der Erde bilden. Das ist die kosmotheandrische Spiritualität2.

Eine Verwandlung zu bewirken bedeutet nicht Macht einsetzen, um einen Wechsel herzustellen. Verwandlung ist, christlich gesprochen, die Transfiguration, die Metamorphose, die Vergöttlichung. Die Umwandlung des Universums geschieht nur, indem wir bereit sind, unser Leben hier in der rechten Zeit (im Kairos) einzusetzen.

Wie aber erreicht man die eigene Natur? Wie verwirklicht sich der Mensch? Was ist diese Transparenz und diese Aufrichtigkeit, diese Echtheit?

Der kontemplative Mensch

Der tätige Mensch, der Kontemplative, ist durch drei Merkmale gekennzeichnet: die raum-zeitliche Verbundenheit, die theoretisch-praktische Nichtdualität und die telodosische Freiheit3. Zugleich sind diese drei Merkmale Zeichen dafür, ob wir auf dem richtigen Weg sind oder nicht. …

Wenn uns die Erfahrung der Einmaligkeit einer jeden Aktion, eines jeden Wesens, eines jeden Momentes und eines jeden Ortes nicht zu eigen ist, dann können wir zwar sehr tüchtig in der Arbeit sein, die wir verrichten, wir verfehlen und verpassen dann aber den Sinn des Lebens und sind dann nicht mehr als gute Maschinen. Gleichzeitig können wir dann natürlich auch nichts verwandeln, alles läuft dann auf Straßen, alles folgt dann physikalischen, psychologischen, soziologischen oder anderen Gesetzen. Freiheit existiert dann nicht mehr.

Was wir tun müssen, ist, alles aufs Spiel zu setzen, weil alles einmalig ist. Das ist der kontemplative Mensch, der verwandelnde Mensch. Der kontemplative Mensch denkt organisch, ohne Strategien, um sich abzusichern, ohne einen Plan, um seine Umwelt, ob groß oder klein, zu verwandeln. Er handelt in der Erfahrung der Nichtdualität in Achtsamkeit aus dem gegebenen Augenblick. Die Kontemplation ist so in sich selbst lebendig, kräftig und verwandelt mich und meine Umgebung.

Das kontemplative Leben

Das kontemplative Leben ist eine Wechselwirkung. Soviel ich mich verwandele, so viel verwandle ich meine Umwelt. So viel ich meine Umwelt verwandle, so viel persönliche Verwandlung geschieht. Die kontemplative Erfahrung sagt uns, dass wir, um wirklich leben zu können, keine Rezepte benötigen, dass wir uns keine Ziele setzen müssen. Diese Weg- und Ziellosigkeit in der raum-zeitlichen Verbundenheit umzusetzen ist ein Wagnis und auch ein Risiko. Wenn wir dieses Risiko aber nicht annehmen und uns nicht auf die Nichtdualität einlassen, bleibt alles beim Alten und wir werden weiter getrieben im Getriebe der Zeit. Unsere Zeit aber benötigt eine Verwandlung hin zum Leben.

 Anmerkungen

2 Die kosmotheandrische Vision hat Raimon Panikkar u. a. in seinem Buch "Der Dreiklang der Wirklichkeit – Die kosmotheandrische Offenbarung" dargelegt.

3 Die telodosische Freiheit ist die Freiheit vom Weg und vom Ziel. D. h., der Weg ist das Ziel und der Weg entsteht beim Gehen. Der Weg ist weder eine Autobahn noch ein Trampelpfad.

Verantwortlich für die Zusammenstellung ist Martin Butter, Dipl.-Theol., Kontemplationslehrer in Begleitung von Willigis Jäger und verbunden mit Raimon Panikkar.
E-Mail: E-Mail,  Internet: Link

 

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