Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)

Kontemplation, was ist das?

 

Der nachfolgende Text ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung der Autorin/des Autors bzw. des WFdK.

 

◄ Fenster schließen    ▼ zum Seitenende     Seite drucken Seite drucken

HelmutDoermann 95x127

Helmut Dörmann

Gedanken – nicht nur – zur Weihnachtszeit

 Manchmal fragt man sich vielleicht: Warum meditiere ich überhaupt? Was ist das Ziel? Darauf gibt es natürlich viele Antworten. Tausende von Büchern sind hierzu geschrieben worden. Deshalb möchte ich nur kurz dazu sagen: Ziel von Meditation ist es, im Hier und Jetzt zu sein und einzutauchen in einen transpersonalen Raum, der über unsere Person, unser Denken und Fühlen hinausgeht. Meditation bedeutet, einzutauchen in STILLE und sich zu verbinden mit der eigenen göttlichen Wesensnatur.

Besonders in der Weihnachtszeit erwacht in vielen Menschen eine tiefe Sehnsucht nach Stille und Frieden. Es gibt einen schönen Vers von Angelus Silesius:

Wird Christus tausendmal
zu Bethlehem gebor’n
und nicht in dir, du bleibst
noch ewiglich verlor’n.

Das mag für manche Ohren etwas krass klingen. Man fragt sich: Was wird in uns geboren? Was erwacht in uns? Christliche Mystik nennt es das CHRISTUS- BEWUSSTSEIN. Der Buddhismus nennt es BUDDHA-NATUR. Andere sprechen wiederum vom KOSMISCHEN BEWUSSTSEIN oder vom ICH BIN. Im tibetischen Buddhismus wird von RIGPA gesprochen. Modern ausgedrückt spricht man von einem NONDUALEN BEWUSSTSEIN.

Ich möchte es im Weiteren unser Höheres SELBST nennen. Die großen Traditionen sind sich darüber einig, dass dieses BEWUSSTSEIN im Menschen erwacht. Wir können es nicht selber tun. Wir haben im Grunde gar keinen Zugriff darauf. Das macht Meditation letztendlich auch so schwierig, weil wir gewohnt sind zu "machen“ und mit dieser Einstellung immer wieder scheitern.

Zu den Versen von Angelus Silesius möchte ich hinzufügen: Wir sind im Innersten göttlichen Ursprungs. Unser höheres SELBST ist es, das sich in uns entfalten möchte.

Bewusstsein entfaltet sich auf verschiedenen Ebenen. Wir sind uns z.B. unserer Körperempfindungen, unserer Gedanken und Gefühle bewusst. Wir sprechen dann von "sich seiner selbst bewusst zu sein“. Und dies ist meiner Meinung nach für spirituelles Wachstum unerlässlich.

Ich möchte einen Schritt weitergehen. Unsere Umwelt, unser Körper, unsere Gedanken und Gefühle können von uns wahrgenommen und bewusst gesehen werden.

Doch wer oder was steht hinter unserem "Personalen Bewusstsein“? Wer oder was ist unser wahres WESEN, unser wahres SELBST? Mystiker haben sich zu allen Zeiten schwer mit einer Definition getan. Sie sagen es mit Worten wie: "Es ist nicht dies und es ist nicht das.“ Philosophen nennen es gern "Transzendentes SELBST“.

Um es etwas zu vereinfachen, möchte ich sagen: Im Grunde haben wir zwei "Selbst“. Es gibt unser personales Selbst, das unsere Körperempfindungen, unsere Gedanken und Gefühle sowie Persönlichkeitsanteile sieht und sich dessen bewusst wird. Und es gibt unser Höheres SELBST.

Ken Wilber sagt hierzu: "Dieses SELBST ist unbewegt – es ist unberührt von Zeit und Veränderung, Datum oder Dauer. ES ist sich der Zeit bewusst, selbst jedoch zeitlos, es existiert im zeitlosen JETZT.“

Zurück zur Meditation. Warum meditieren wir? Ein Ziel von Meditation ist, dass unser Höheres SELBST in uns erwacht … oder, wie Angelus Silesius es nennt, "Christus in uns geboren wird“.

Je mehr Raum unser Höheres SELBST in uns bekommt, desto mehr leben wir in der Ewigkeit und der zeitlosen Gegenwärtigkeit. Wir spüren die Schwingungen unseres Höheren SELBST als Sehnsucht. GOTT oder unser Höheres SELBST sehnt sich nach uns. Eine Sehnsucht, die sich verbinden möchte. Es ist die tiefe Sehnsucht nach Licht, Liebe und Glück. Es ist die gleiche Sehnsucht, welche Licht und Liebe in die Welt tragen möchte.

In der Weihnachtszeit spürt man ja ein wenig von dem Glanz und dem Bedürfnis nach Licht und Liebe. Fast jeder Mensch zündet Kerzen an.

Natürlich dreht sich in unserer Welt in dieser Zeit alles um materielles Schenken. Und für manch einen geht der Sinn des Weihnachtsfestes dabei verloren. Wenn wir ein wenig zurückschauen, wird uns auch bewusst, – ausgelöst durch die weltweite Finanzkrise –, dass doch einiges in unserer Gesellschaft im Argen ist. Es wird uns bewusst, dass unser Ego "gierig“ ist. Wir machen es uns aber zu einfach, wenn wir nur mit dem Finger auf die Banker zeigen. Wir sind ein Teil des Systems. Und mit unseren Ansprüchen und Bedürfnissen füttern wir die Gier … auch in uns.

Ich möchte jetzt nicht zu moralisch werden und auch nicht damit deutlich machen: Wir sollten nicht kaufen und nicht konsumieren. Ich möchte mit diesen Zeilen ein wenig die Blickwinkel verändern und erweitern.

Wenn wir die Gebetsgebärde der Segnung einnehmen und in die Stille gehen, werden wir uns bewusst, dass wir bereits gesegnet sind und dass wir unsere Mitmenschen durch unsere Zuwendung und Aufmerksamkeit segnen können.

Jesus sprach davon: "Meinen Frieden gebe ich euch.“

Innerer Friede ist die Basis für äußeren Frieden. Nur wenn ich inneren Frieden erlebe, kann ich diesen auch weitergeben. Wer inneren Frieden in sich spürt, beschenkt alle Wesen, die ihm begegnen, allein durch seine Präsenz und Ausstrahlung. Präsent zu sein bedeutet, im Hier und Jetzt zu sein.

Wenn mir jemand seine Sorgen erzählt, der Freund Unterstützung braucht … dann kann ich präsent sein. Dafür muss ich nichts Besonderes tun. Ich schenke anderen lediglich meine vollständige Aufmerksamkeit und meine Präsenz.

Das größte Geschenk, das wir anderen machen können, ist unsere Aufmerksamkeit zu verschenken. Nur wenn ich mich immer nur um mich selbst drehe, um meine Bedürfnisse, mein Wohlergehen, meine Vorstellungen, mein Denken, meine Geschichte, mein Leid und meine Not sehe, dann kann ich auch nur das verschenken. Ehrenamtliche Sterbebegleiter sagen häufig über ihre Arbeit: "Ich habe mehr bekommen, als ich gegeben habe.“ Sie fühlen sich vom sterbenden Menschen beschenkt. Sie schenken ihm ihre Aufmerksamkeit und stellen sich selbst dabei ein wenig zurück. Der Sterbende dankt es ihnen in der Regel sehr. Er lässt sie teilhaben an ganz intimen und persönlichen Erfahrungen und Erlebtem. So fühlen sich häufig beide beschenkt.

Ist nicht "Schenken“ ein inneres Bedürfnis von uns? Möchten wir nicht im tiefsten Inneren auch beschenkt werden und andere beschenken? Ich meine JA. In diesem Sinne können wir unsere Aufmerksamkeit anderen "schenken“. Gelegenheiten gibt es genug.

Schenken kommt ursprünglich von "Einschenken“, dem Dürstenden zu trinken geben. Das ist die Urform des Schenkens. Wenn uns bewusst wird, dass wir täglich beschenkt werden, fällt es uns vielleicht leichter, andere zu beschenken. Wenn wir in Verbindung sind, mit unserem SELBST – mit GOTT –, setzt das häufig einen Impuls frei, ganz spontan.

Wir brauchen deshalb Schenken nicht neu zu erfinden, denn unsere Wesensnatur, unser SELBST ist "Schenken“. Wir sind "Schenken“.

Was braucht es also?

  • Die Bereitschaft, sich vorbehaltlos seinem SELBST zuzuwenden
  • Sich selbst und seine Umwelt mit klarem Geist zu sehen
  • Sein Herz zu öffnen
  • Seiner Intuition zu vertrauen
  • Zu handeln

Ein abschließender Gedanke: Wir denken häufig: "Ich brauche Gott“. Sehen wir es doch einmal so: GOTT braucht uns als seinen Ausdruck von sich SELBST.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gesegnete Weihnachtszeit.

Helmut Dörmann
geboren 1957, lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Minden. Er ist Koordinator des Hospizkreises Minden e.V. und ausgebildet in Gestalttherapie und kontemplativer Psychologie. Lehrer der Würzburger Schule der Kontemplation (WSdK), Leiter der Kontemplationsgruppe an der Marienkirche Minden.

 

◄ Fenster schließen    ▲ zum Seitenanfang     Seite drucken Seite drucken