Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)

Kontemplation, was ist das?

 

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Manfred Rompf

Kontemplation - was ist das?

Auf diese Frage findet sich eine kurze, konzentrierte und das Wesentliche zusammenfassende Antwort in der Formulierung von Bede Griffiths (1906 – 1993), der sich als Benediktiner um den Dialog der Religionen, besonders um den christlich- hinduistischen Erfahrungsaustausch, bemüht hat. Sein Schüler Roland R. Ropers, der Religions- und Transformationsphilosoph und selbst ein spiritueller Lehrer, hat uns diese Formulierung an verschiedenen Stellen überliefert. So berichtet er in seinem Buch über Bede Griffiths – "Eine Welt – Eine Menschheit – Eine Religion" (Sheema Medien Verlag, 2007) –: "Anlässlich eines gemeinsamen Herbstspaziergangs formulierte er am 22. September 1992 in Kreuth/Tegernsee seine letztgültige und sicherlich auch schönste Deutung des Begriffs Kontemplation: Kontemplation ist das Erwachen zur Gegenwart Gottes im Herzen des Menschen und im uns umgebenden Universum. Kontemplation ist Erkenntnis im Zustand von Liebe." (S. 22 f.)

Es lohnt sich, über diesen Satz etwas nachzudenken. In ihm liegt die Erfahrung eines bedeutenden Mystikers, der sich ein Leben lang in der Kontemplation geübt hat. Solche Erfahrung wird als Geschenk oder, anders ausgedrückt, als Erwachen erlebt: "Kontemplation ist das Erwachen zur Gegenwart Gottes". Im Erwachen steckt ein Staunen, ein Entdecken von etwas, das schon da war, aber noch nicht geschaut wurde, aber jetzt mit einem hellwachen Bewusstsein wahrgenommen wird. Es ist eine Einheitserfahrung der einen Wirklichkeit, die wir Gott nennen. Aus solcher Erfahrung sagt Meister Eckehard: "Gott und ich, wir sind eins." (Quint S. 186); Paulus formuliert: "in ihm leben, weben und sind wir." (nach der Apostelgeschichte 17, 28); der Mystiker Gerhard Tersteegen (1697 bis 1769) dichtet: "Gott ist gegenwärtig." (EG 165). Aus einer entsprechenden Erfahrung heißt es bereits staunend im Psalm 139: "Von allen Seiten umgibst du mich …" So ließen sich viele Formulierungen finden, wo Menschen – auch unabhängig von einer bestimmten Religion – solche Erfahrung gemacht haben, die dem "Erwachen zur Gegenwart Gottes" entspricht.

Die Formulierung "im Herzen des Menschen" besagt, dass es sich um eine innere, um eine tiefe Erfahrung handelt, die dem Menschen in der Kontemplation zuteil wird. Es ist die Erfahrung der Einwohnung Gottes in uns. Wir sind "Tempel Gottes", sagt Paulus (1. Korinther 6, 19). So ist in dem Wort Kontemplation ja auch das Wort Tempel enthalten und das lateinische Verb "contemplari" bedeutet "betrachten", "beschauen". Es ist ein doppeltes Schauen: Gott schaut mich an und ich schaue ihn an, bildlos. Es geht in der Kontemplation darum, selbst zum Tempel, zum Ort der Gottesbeschauung und Wohnung Gottes zu werden bzw. sich dessen bewusst zu werden. Entsprechend lehrt der Mystiker Johannes Tauler (1300 –1361):"Der Mensch lasse die Bilder der Dinge ganz und gar fahren und mache und halte seinen Tempel leer. Denn wäre der Tempel entleert, und wären die Phantasien, die den Tempel besetzt halten, draußen, so könntest Du ein Gotteshaus werden."

Bereits Jesus preist auf Grund entsprechender Erfahrung die Menschen "glückselig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen." (Matthäus 5, 8). Das Schauen geschieht nicht erst in einem fernen Jenseits, sondern bereits jetzt und hier im Herzen. Wie Jesus auch sagt: "Das Reich Gottes ist in euch."(Lukas 17, 21) "Reich Gottes" lässt sich an einigen Stellen – so auch hier – bei Jesus mit "Gegenwart Gottes" am treffendsten wiedergeben.

Auf Grund entsprechender Erfahrung betet Gerhard Tersteegen in seinem Lied "Gott ist gegenwärtig": "Mach mich reines Herzens, dass ich deine Klarheit schauen mag in Geist und Wahrheit." Das setzt sich dann auch im Alltag fort: "wo ich geh, / sitz und steh, / lass mich dich erblicken/ und vor dir mich bücken."

Die Formulierung "im uns umgebenden Universum" besagt, dass Kontemplation nicht nur eine Sache des Herzens ist, sondern das ganze Universum mit einbezieht.

Gotteserfahrung im umfassenden Sinn ist eine Einheitserfahrung mit allem Leben und Sein. Damit entsteht zugleich ein Mitgefühl für alles Lebende, von dem wir nur ein Teil sind in je verschiedener Weise, es ergibt sich daraus eine Weltverantwortung. Das meint auch Jesus, wenn er die Menschen, die er zuvor glückselig gepriesen hat, als "Salz der Erde" und als "Licht der Welt" (Matthäus 5,13 ff.) bezeichnet. Das bedeutet doch, ihr seid lebensnotwendig für diese Erde, ihr seid unverzichtbar für das Leben der Welt. Auf euch, die ihr Gott im Herzen schaut, die ihr Gottes Gegenwart (Reich Gottes) erfahrt, kommt es an. Ihr seid Söhne und Töchter Gottes, nun lebt auch danach. Dazu ist eine Kraft nötig, eine Energie, die denen zu Teil wird, "die leer und arm bis ins Innerste sind". So sollten wir das "Geistlich-arm-Sein" (Matthäus 5, 3) sinngemäß übersetzen. Aus dieser Kraft erwachsen dann die Lebensweisen, die Jesu selig preist für dieses Leben auf dieser unserer Erde. Das Leerwerden von allem Eigenen, Selbstsüchtigen, von allen Wunschbildern ist es, worin wir uns in der kontemplativen Übung bemühen, um uns so der einen Wirklichkeit darzubieten – leer wie eine Schale. So wie es Jesus uns vorgelebt hat, indem er sich immer wieder bei aller Aktivität für die Armen, Kranken und Ausgestoßenen (übrigens auch für die Reichen und Gelehrten) in die Stille zurückzog zum Gebet, zur kontemplativen Übung, um Kraft für sein Leben und Wirken zu empfangen. Diese Kraft bezeichnen wir als Liebe.

"Kontemplation ist Erkenntnis im Zustand von Liebe" formuliert Bede Griffiths.

Der Verfasser der "Wolke des Nichtwissens", einer kontemplativen Anleitung des 14. Jahrhunderts, beschreibt Kontemplation als "Übung der Liebe", die "auch die Kraft zur Nächstenliebe" gibt. (S. 66 f. bei Willi Massa, Kontemplative Meditation, Wolke des Nichtwissens, Topos TB 1974). Er schreibt weiter: "Hier genügt es zu betonen, dass echte Kontemplation ehrfürchtige Liebe ist, eine reife Frucht des menschlichen Herzens." (S. 172, Wolke des Nichtwissens, Willi Massa, Hg. 1999, Herder-Verlag). Aus der entsprechenden Erfahrung sind bereits einige Spitzensätze im Neuen Testament zu verstehen. So bei Paulus Römer 5, 5: "denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist." Dazu gehört auch 1. Korinther 13, das so genannte hohe Lied der Liebe. Und 1. Johannes- Brief 4, 16: "Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm."

Solche "Erkenntnis im Zustand von Liebe" sprengt in der Konsequenz alle konfessionellen und religiösen institutionellen Grenzen. So betonte Bede Griffiths: "Jesus Christus hat nicht die Kirche gepredigt, sondern das Reich Gottes. Jesus ist einzigartig, aber nicht der einzige". (a.a.O. S. 23). So setzte er sich unermüdlich für den Dialog der Religionen ein und bezog auch die Menschen, die keiner Religion angehören, mit ein. Er war überzeugt, dass Gottes Geist selbstverständlich in allen Menschen wirken kann, auch in denen, "die nur Gott als endgültige Erfüllung in den Wissenschaften, in der Kunst oder im sozialen Dienst suchen…" (a.a.O. S. 23 f.).

Ach, dass wir, und auch unsere Kirchenleitenden und die Religionsführenden, von solcher Kontemplationserfahrung, von solcher "Erkenntnis im Zustand von Liebe" erfüllt würden!

Die Seligpreisungen

Selig, glücklich bis ins Innerste der Seele sind,
 die bis ins Innerste arm und leer sind;
 denn sie erfahren die Gegenwart Gottes.
Selig sind, die da Leid tragen;
 denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen;
 denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit;
 denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen;
 denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind;
 denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen;
 denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig, glücklich bis ins Innerste der Seele sind,
 die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden;
 denn sie nehmen Teil an der göttlichen Wirklichkeit.

(Matthäus 5,3–10; Übersetzung V 3 + 10 Manfred Rompf, V. 4–9 Luther)

Manfred Rompf,
geb. 1936 in Würzburg; Schreinerlehre, Ausbildung in der Evangelistenschule Johanneum Wuppertal, Gemeindehelfer und Jugendwart, Studium der Theologie in Wuppertal, Heidelberg u. Tübingen, Gemeindepfarrer in Essen-Kupferdreh; verheiratet, 2 vh. Söhne. Zen und Kontemplation seit 1974 bei Dr. Willi Massa, P. Enomiya-Lassalle, Zen-Meistern (Prof. Nagaya, Seki Yuho, Sochu Suzuki), F. X. Jans-Scheidegger, P. Willigis Jäger. Kontemplationslehrer der Würzburger Schule. Seit 1974 Leiter von Meditations- und Kontemplationskursen und -gruppen, seit 1980 Synodalbeauftragter im Kirchenkreis Essen (Süd); Diplom TZI Gruppenleiter. Seit Oktober 1999 Pfr. i. R. Besonderes Anliegen: Die mystische christliche Tradition wieder lebendig zu machen, um in unserer Zeit achtsam auf Gottes Wirken in uns und um uns zu sein.

Manfred Rompf, Schliepersberg 9 b, 45257 Essen, Telefon: 0201 488839,
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.manfredrompf.de.

 

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