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Grundlagen
Die Würzburger Schule der Kontemplation
Die Würzburger Schule der Kontemplation folgt der christlichen Mystik und lehrt die mystischen Wege der Wüstenväter und vieler Mystiker und Mystikerinnen, z. B. Meister Eckhart, Johannes vom Kreuz und Teresa von Avila.
Religionen haben drei Ebenen
Friedrich von Hügel bezeichnete sie als das Institutionelle, als das Intellektuelle und das Mystische. Keine Ebene soll hier gewertet werden. Sie dürfen nebeneinander bestehen bleiben. Aber leider sind die theistischen Religionen geneigt, die dritte Ebene, die mystische, auszugrenzen, obwohl sie die eigentliche Grundlage der Religionen darstellt. Die Erfahrungen der Weisen, aus denen sich die meisten religiösen Institutionen entwickelt haben, verweisen auf Sinn und Ziel der Religionen. In diese Erfahrung wollten sie eigentlich führen.
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a) Die institutionelle Ebene
Sie hat Kirchen, Gemeinschaften, ein Lehrgebäude und Rituale. Gott ist der Schöpfer und machtvolle Herrscher. Ihm gilt es zu gehorchen. Er entscheidet über gut und böse. An ihn wendet man sich im Lob- Dank- und Bittgebet. Er schickt der sündigen Menschheit Helfer und Erlöser. Bei Wohlverhalten wird der Mensch mit dem Himmel oder einer guten Reinkarnation belohnt. Bei schlechtem Verhalten wird er bestraft. – Im Lob- Dank- und Bittgebet wendet sich der Mensch an diese Instanz.
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b) Die intellektuelle Ebene
Die intellektuelle Ebene hat eine Theologie, Theodizee, Metaphysik und eine Philosophie. Verstand, Gedächtnis, Wille und Gefühle werden dabei aktiviert. Die Ebene bleibt in der Ichaktivität und im personalen Bereich. Die Theologie und Theodizee macht sich Gedanken über diese göttliche Wirklichkeit und kommt zu rationalen Deutungen des Menschen und der Welt. Der Mensch hat den Verstand erhalten, um auf dieser Ebene Erkenntnisse über eine Erste Wirklichkeit zu formulieren.
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c) Die mystische Ebene
Sie versucht alle Egokräfte ruhig zu stellen und alle Ichaktivität zurückzunehmen. Das Ich soll schweigen, damit das auftaucht, was die Mystik unser "wahres Wesen" nennt, eine transrational erfahrbare Ebene. Meister Eckhart nennt sie Gottheit, Johannes vom Kreuz Nada (Nichts). Jesus nennt sie Reich Gottes. Das Reich Gottes ist in euch, verkündet er. Du musst wiedergeboren werden, sagt er zu Nikodemus. Du musst eine zweite Geburt erleben, um dein wahres Leben zu erfahren, das du nicht mit dem Intellekt begreifen kannst. Andere nennen es Brahman, Buddhanatur, Leerheit.
Wer auf diese Ebene durchbricht, erfährt die "wirkliche Wirklichkeit", die über alle rationalen und personalen Fähigkeiten hinausgeht und eine ganz andere und neue Erfahrungsebene vermittelt. Nur wenn wir aus der Enge des Rational-Personalen herausgehen, erfahren wir mehr über uns. Das ist die mystische Erfahrung bzw. das Erwachen.
Diese Erfahrung kann mit der menschlichen Sprache nur schwer ausgedrückt werden. Das macht die mystische Aussage so schwer verständlich. Es ist schwierig, einer Raupe einen Schmetterling zu erklären und das Schmetterlingsdasein in das Raupendasein zurückzudeuten.
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Was ist eine transpersonale, mystische Erfahrung?
Sie zeichnet sich durch eine absolute Klarheit aus. Eine solche Erfahrung ist ein befreiendes und zugleich erschütterndes Erleben. Die zeitlose Klarheit spiegelt alle Erscheinungsformen wider. Es ist die Erfahrung einer befreienden Einheit, getragen von Mitgefühl und Liebe. Sie hinterlässt eine tiefe Demut und den Wunsch und Auftrag andere Menschen dahin zu führen.
Man erfährt, dass es keines Festhaltens und keiner Identifikation mit den Dingen, auch nicht mit dem eigenen Ich, bedarf. Das Ich ist eine Form unter vielen und erfährt sich als Ausdruck des unendlichen "Nichts" (Johannes vom Kreuz). Christlich ausgedrückt: Gott möchte in mir Mensch sein, (Meister Eckhart) in dieser Form, zu dieser Zeit, an diesem Ort. Das ist der einzige Grund, warum ich Mensch geworden bin: Ganz Mensch zu sein, Augenblick für Augenblick. Ich tanze diesen Tanz des Lebens und weiß, dass ich der/die Getanzte bin, ein Tanzschritt dieses zeitlosen Tänzers Leerheit, Gottheit.
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Die Mystik hat drei Ebenen: Theorie, Weg und Erfahrung
Jede Religion besitzt neben Lehre, Ritual und Liturgie - also den exoterischen Elementen - auch einen Weg in die Erfahrung, einen esoterischen Weg. Kontemplation ist das Wort, das im ganzen Mittelalter für diesen Gebetsweg, der in die Erfahrung des Göttlichen führen soll, verwendet worden ist. – Die christliche Gebetslehre unterscheidet drei Stufen:
- Mündliches Gebet - oratio
- Betrachtendes Gebet - meditatio
- Kontemplatives Gebet - contemplatio
Die letztere Form des Betens wurde bis ins hohe Mittelalter gelehrt und die großen Mystiker der Abendlandes haben sie uns überliefert: Cassian, Evagrius Ponticus, Dionysius, die Philokalia, Bonaventura, Meister Eckhart, Hugo v. St. Viktor, der Schreiber der 'Wolke des Nichtwissens und Johannes vom Kreuz. Wir finden in ihren Schriften und Anweisungen zum kontemplativen Gebet sehr viel Ähnlichkeit mit den östlichen Formen der Spiritualität, z.B. zu Vipassana, Zen, Raja-Yoga und dem Wege des Pantanjali oder auch dem mystischen Weg der Sufis.
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Meditation und Kontemplation im ursprünglichen Sprachgebrauch
Das Wort Meditation spricht in der klassischen Einteilung die intellektuelle und sensitive Begabung des Menschen an, d.h. Sinne, Gefühl und Verstand. Sie befasst sich mit Bewusstseinsinhalten wie Bildern, Worten, Metaphern, wodurch die Kräfte der Seele angeregt werden.
Wer sich auf den Weg der Kontemplation begibt, sollte die Meditation während dieser Übung lassen. So schreibt Johannes vom Kreuz: "Beginnt die Seele in jenen einfachen und gelassenen Zustand der Kontemplation einzutreten und versiegt ihr damit die Meditation, dann soll sie sich niemals Meditationen vorstellen wollen und niemals an geistlichen Wohligkeiten festhalten". (LF III,36).
Man erwartet, dass jemand die beiden ersten Gebetsarten (oratio und meditatio) intensiv praktiziert hat, bevor er sich auf den Weg der Kontemplation macht. Kontemplation dagegen ist nur möglich, wenn Verstand, Gedächtnis und Wille zur Ruhe gekommen sind. Alle seelischen Kräfte verhalten sich in der Kontemplation passiv. Es geschieht etwas mit dem Betenden. Keinerlei Inhalte werden angenommen, selbst religiöse Bilder, Visionen, innere Ansprachen und fromme Gedanken werden zurückgelassen. Kontemplation ist reines Schauen. Dem Beter widerfährt etwas. Es ist ein Erwachen zum wahren göttlichen Wesen.
Kontemplation im ursprünglichen Wortgebrauch ist die ebenbürtige Parallele zu den östlichen Formen wie Zen, Vipassana und manchen Yogapraktiken und sollte im christlichen Bereich unbedingt wieder mit diesem klassischen Begriffsinhalt gebraucht werden.
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Kataphatische und apophatische Spiritualität
Die christliche Gebetslehre kennt eine weitere Einteilung. Sie hat dafür die Worte apophatisch und kataphatisch geprägt. ( apo = weg; kata = gemäß, entsprechend; phatis = Rede, Wort).
Die kataphatische Spiritualität arbeitet mit Bewusstseinsinhalten, d.h. mit Bildern, Symbolen, Vorstellungen und Begriffen. Sie ist inhaltsorientiert und geht von der Überzeugung aus, dass der Mensch Bilder und Begriffe braucht, um zu Gott zu kommen.
Die apophatische Spiritualität entspricht der Kontemplation. Sie ist auf das reine, leere Bewusstsein hin orientiert, damit das Göttliche aufscheinen kann. Inhalte werden als Hindernis angesehen. Solange das Bewusstsein an Bildern oder Konzepten festhält, ist es noch nicht dort, wo die eigentliche Erfahrung Gottes geschieht. Bilder und Inhalte verdunkeln das Göttliche mehr, als dass sie es erhellen. Die meisten Christen - wohl auch die meisten Menschen anderer Religionen - gehen einen kataphatischen Weg, also den Weg der Bilder, der Vorstellungen und Worte von und über Gott.
Die kataphatische Spiritualität spielt deshalb in allen Religionen die größere Rolle. Je stärker Religion aber ins Mystische hineinreicht, umso apophatischer wird sie, d.h. sie verlässt die Bilder, die Vorstellungen und Konzepte, weil diese von einem bestimmten Punkt an Gott eher verdunkeln. So braucht Religion einerseits Bilder und Worte, weil Glaube ohne sie nicht mitgeteilt werden kann. Andererseits ist die Gefahr, Bilder und Worte zu wichtig zu nehmen, sehr groß. Bilder und Symbole können echte Wege in die Erfahrung der letzten Wirklichkeit sein, aber sie können auch zum Hindernis werden.
Die Institution verlor nie einen gewissen Argwohn gegen die apophatische Spiritualität bzw. die Mystik. Manchmal war er berechtigt, vor allem dann, wenn sich der mystische Weg stark antitheologisch oder gar antiintellektuell gebärdete und ins Unkritische, manchmal sogar ins Parapsychische absank. Mystik und Theologie sind die beiden Säulen einer Religion. Erst wenn beide stark und ausgewogen existieren dürfen, blüht das religiöse Leben. Daher war für die Mystik Kontemplation das eigentliche Ziel der Gebetslehre.
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Wer ist zur Kontemplation berufen?
Man hat in den letzten Jahrhunderten mystische Erlebnisse nur 'besonders begnadeten Personen' zugetraut. Bis in die jüngste Zeit wurde daher selbst in Klöstern nur wenigen Auserwählten die Erlaubnis erteilt, Johannes vom Kreuz und Meister Eckhart zu lesen. Die Mystiker selbst haben diese Gebetsform jedoch schon immer allen Menschen empfohlen und vor allem auch den Ordensleuten. So schrieb Madam Guyon: "Alle sind geeignet für das Innere Gebet.
Es ist ein großes Unglück, dass fast jedermann sich in den Kopf setzt, nicht zum Inneren Gebet berufen zu sein. Wir alle sind zum Inneren Gebet berufen, so wie wir alle zum Heil berufen sind". (E. Jungclaussen, Das Jesusgebet S.51)
Johannes vom Kreuz führt in sein Buch 'Aufstieg zum Berge Karmel' mit den Worten ein: "Das Buch handelt davon, wie die Seele sich bereiten kann, um in Kürze mit Gott vereinigt zu werden. Es gibt Weisung und Lehre, sowohl für Anfänger wie auch für Fortgeschrittene ..." (ABK, Einleitung). Er gibt dafür einen einfachen Grund an: "... denn dieses Licht (der Kontemplation) mangelt der Seele niemals. Doch wegen der geschöpflichen Bilder und Hüllen, mit denen die Seele verhüllt und beschwert ist, strömt es nicht ein". (ABK II,15,4).
Für Ludwig Blosius, einen Mystiker aus dem 14. Jahrhundert in Frankreich, ist der Status der Kontemplation mindestens für jeden Mönch die größte Selbstverständlichkeit. Er schreibt: "Wenn du sagst, diese Vollkommenheit ist für mich zu hoch ..., so antworte ich dir: Dann bist du kein Mönch." Heute müssen wir uns fragen, weshalb die Kontemplation und die Hinführung zur Kontemplation bei den christlichen Seelsorgern, Spiritualen und Beichtvätern nicht besser bekannt sind.
Aus diesem Grund wenden sich viele Menschen den östlichen spirituellen Wegen zu, weil sie im Christentum keine Anleitung erhalten. Manche sind aus der Kirche ausgewandert und haben sich freien esoterischen Gruppen angeschlossen. Es sind weit mehr Menschen auf dem mystischen Weg, als den Konfessionen bekannt ist.
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Die traditionelle christliche Übungspraxis
Die Esoterik kennt bestimmte Grundstrukturen, die allen Religionen gemeinsam sind. Das Christentum macht dabei keine Ausnahme. Entweder sie empfehlen eine Sammlung des Bewusstseins an einem Bild, Ton, Wort, Atem, Licht, also einem Inhalt, an dem das Bewusstsein vereinheitlicht wird oder sie halten das Bewusstsein frei von jedem Inhalt und von jeder Struktur, sei sie materiell, psychisch oder intellektuell. Im Folgenden werden diese beiden Formen bei den christlichen Mystikern aufgezeigt.
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Die Übung mit dem Atem
Die christliche Mönchstradition kennt schon immer das Eintreten in die Versenkung mit Hilfe des Atems. Aus der Philokalia, einem Buch, das vom Gebetsleben der Mönche der Ostkirche berichtet, seien einige Beispiele genannt.
"Dir ist ja bekannt, Bruder, wie wir atmen: Wir atmen ein und aus. Ohne das ist Leben unmöglich. Wenn Du dich also in Deiner Zelle niederlässt, sammle Deinen Geist, binde ihn an den Atem, durch den die Luft in Dich einströmt, zwinge ihn durch Dein Einatmen in Deine Mitte und lasse ihn dort. Lass ihn dort, aber nicht still und müßig, sondern mit folgendem Gebet: 'Herr Jesus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner'. Das soll ihn immer beschäftigen, nie soll er damit aufhören". (Philokalia S. 192).
"Ein Mensch, der das lernen möchte, sollte wissen, dass, wenn man den Geist daran gewöhnt hat, durch das Einatmen in die innere Mitte zu kommen, man auch praktisch gelernt hat, ihn in dem Augenblick, in dem er sich anschickt in die innere Mitte zu gelangen, von jeglichem Gedanken zu befreien, so dass er einfach wird und bloß, frei von allen Erinnerungen, außer jenem Ruf zum Herrn Jesus Christus". (Philokalia S. 193).
"Dein Denken an Jesus verbinde sich mit deinem Atem, dann erst wirst Du den Sinn des Schweigens verstehen. Hesychius lehrt: 'Möchtest Du wirklich Schweigen bewahren, wie Du eigentlich solltest, und ohne Anstrengung wachen Herzens sein, dann binde das Jesus-Gebet an Deinen Atem'." (Philokalia S. 192).
Der Atem ist auch heute noch für viele Menschen der Einstieg in das kontemplative Gebet.
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Langes ruhiges Sitzen
Das lange, ruhige Sitzen wird von jeher als wichtig angesehen. Man kann sich in einer Kirchenbank niederlassen oder zu Hause auf einem Stuhl, auf einem niedrigen Bänkchen oder auf den Fersen. Schon die christlichen Mönche der Thebaiis und Skytis kannten das lange Sitzen. "Der Mönch hockte in seiner Zelle auf einer Matte oder einem niedrigen Papyrusbündel - es mögen zehn Stunden oder mehr des Tages gewesen sein" (v. Nagel S.140). Die Philokalia schreibt: "Nach Sonnenuntergang setze dich auf einen niedrigen Stuhl in deiner ruhigen Zelle bei gedämpftem Licht und sammle deinen Geist von seinem gewöhnlichen Herumschweifen und draußen Herumwandern, und geleite ihn ruhig in dein Herz auf dem Weg des Atems." (Philokalia S. 195)
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Die Übung mit dem Wort
Cassian, ein Mönch, der uns vom Gebetsleben der Eremiten und Zönobiten in der Wüste berichtet hat, beschreibt die Einübung des kontemplativen Betens mit einem Wort bzw. mit einem kurzen Satz wie folgt. Nachdem er die Formel: 'O Gott, komm mir zu Hilfe, Herr, eile mir zu helfen' empfohlen hat, fährt er fort: "Das Gebet dieses Verses soll also mit unablässiger Stete gepflegt werden bei Widrigem, damit wir errettet werden, bei Günstigem, damit wir bewahrt werden und uns nicht überheben. Die Anwendung dieses Verses, sage ich, soll ununterbrochen in deinem Herzen erwogen werden. Lass nicht ab, ihn bei jeglichem Werk oder Dienst und auch auf dem Wege zu beten. Pflege ihn beim Schlafen und Essen und in der äußersten Notdurft des Leibes. Dieses Erwägen im Herzen wird dir wie eine heilsmächtige Formel sein und dich auch zu der unsagbaren und nur von wenigen erfahrenen Glut des Gebetes hinreißen. Wenn du diesen Vers im Innern pflegst, mag dich der Schlaf überkommen, wenn du nur am Ende, durch seine unaussprechliche Übung geformt, ihn auch im Schlafe zu beten gewöhnt bist. Er soll dir beim Gewecktwerden zuerst begegnen, beim Erwachen nehme er alle Gedanken vorweg. Bist du vom Lager aufgestanden, so mag er dich zur Kniebeugung geleiten und von da zu allem Werk und Tun. Er begleite dich zu jeder Zeit. Ihn sollst du auf Schwelle und Tür deines Mundes schreiben. Ihn schreibe an die Wände deines Hauses und in das Innere deines Herzens, so dass, wenn du zum Gebete niederfällst, er dein Aufgesang sei, und stehst du sodann auf und begibst dich zu allen notwendigen Lebensbeschäftigungen, so werde er dir das aufrechte und stete Gebet". (Collationes X).
Das 'immerwährende Gebet', das von Jesus empfohlen wird (Lk 18,1), kann sich nur auf der kontemplativen Ebene ereignen, wenn es nach langer Übung 'im Menschen betet' und in der Seele ein Habitus entstanden ist, der von selber immer wieder in die Gebetserfahrung führt.
Der Verfasser der "Wolke des Nichtwissens" gibt in den Kapiteln 7, 36, 37, 39 Anleitungen zum Gebrauch des Wortes in der Kontemplation: " ... nimm ein kurzes einsilbiges Wort, eines mit einer Silbe ist besser als eines mit zwei Silben, und je kürzer es ist, um so mehr hilft es dir auf deinem geistlichen Weg. Ein solches Wort ist z. B. 'Gott' oder 'Liebe'. Wähle davon, welches du willst, oder ein anderes. Achte aber darauf, dass es eine Silbe hat. Verankere dieses Wort fest in deinem Herzen, damit es bei dir ist, was immer auch kommen mag. ... Wehre ab mit ihm jede Art von Gedanken und stoße ihn unter die Wolke des Vergessens. Und sollte ein Gedanke dich verfolgen und fragen, was du tust, dann antworte ihm nur mit diesem Wort. Solltest du aber versucht sein, dieses Wort zu zerlegen, dann erinnere dich, dass du es ganz und nicht entfaltet haben möchtest."
"Es geht nicht darum, das Wort mit der Neugier des Verstandes zu zergliedern oder es im Hinblick auf seine Eigenschaften zu erörtern, als ob du durch eine derartige Betrachtung deine Kontemplation steigern könntest. Ich glaube, dass man nie so verfahren sollte, wenn man sich auf diesen Weg begeben hat. Bewahre vielmehr alle diese Wörter bei dir in ihrer Ganzheit." "Gott lässt sich nicht durch Nachdenken erfassen. Man kann ihn lieben, ihn aber nicht denken. Liebe kann ihn begreifen und umfassen, nicht aber der Gedanke. Obwohl es gut ist, bisweilen auch über die Güte und Freundlichkeit Gottes nachzudenken, obwohl dich das weiterbringen kann, und auch nicht ganz unwichtig ist im kontemplativen Leben, rate ich dir trotzdem, solche Gedanken zu unterlassen, wenn du dich bei der kontemplativen Übung befindest, und sie mit der Wolke des Vergessens zu bedecken." – "Sollte sich aber ein Gedanke regen und sich zwischen dich und dieses Dunkel über dir drängen und dir sagen: 'Was suchst du denn? Und was willst du eigentlich?', dann antworte, dass Gott es ist, den du willst... Selbst dann sollst du es so machen, wenn dieser Gedanke dir wirklich heilig erscheint und dir sogar helfen möchte auf deiner Suche nach Gott."
Wenn man mit dem Gebet so weit gekommen ist, richtet man die Aufmerksamkeit nicht mehr auf den Atem, sondern auf den Laut. Der Vokal wird gleichsam innerlich gesungen. Der Beter wird gleichsam zum Klanginstrument. Das Ziel ist, eins zu werden mit dem Laut. Dadurch beruhigt sich das Innere. Das Bewusstsein sammelt sich in diesem Wort bzw. Vokal. Damit werden die vielen anderen Dinge losgelassen.
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Hingabe und Liebe
Christliche Kontemplation ist immer auch begleitet von Hingabe und Liebe. Der Schreiber der "Wolke des Nichtwissens" rät, das Wort aufzuladen mit Hingabe, mit Liebe und mit Vertrauen. Dies widerspricht nur scheinbar der Anweisung, dass man nicht an Gefühlen hängen soll.
Liebe, Hingabe, Sehnsucht sind Grundbewegungen unserer Seele, die das Wort durchaus begleiten können. Sie richten aus und dienen zur Sammlung. Jemand, der Durst hat, braucht nicht an Wasser zu denken. Die Sehnsucht nach Wasser steckt ihm im Leib. So ist es auch mit der Liebe. Wer wirklich liebt, wer Sehnsucht hat, wer sich hingibt, der ist nicht zerstreut. Die Übung der Kontemplation wird einem solchen Menschen eher gelingen.
Einige Texte aus der 'Wolke des Nichtwissens' verdeutlichen dies: "Vernachlässige diese schweigende Hingabe der Liebe nicht. Beachte ihren unsagbaren Einfluss auf deine eigene Seele. Ist ihre Liebe echt, zeigt sie sich in einer spontanen Regung, die Gott plötzlich wie ein Funke entgegenspringt. Es ist erstaunlich, wie viele solcher Funken aus der Seele eines Menschen zu Gott aufglühen, wenn er in dieser Übung fortgeschritten ist." (Wolke, S. 55). "Was ist das Wesen höchster menschlicher Vollendung, und was erwächst daraus? Ich will für dich antworten. Die höchste menschliche Vollendung ist die Vereinigung mit Gott kraft einer Liebe, die sich völlig hingibt. Diese hohe und edle Berufung ist dem Denken so fern, dass das, was sie wirklich ist, weder vorgestellt noch gedacht werden kann." (Wolke, S 72).
Man darf jedoch nicht verwundert sein, wenn Hingabe und Liebe plötzlich fehlen. Der Weg führt über lange Strecken der Trockenheit, er führt durch Wüste und Nacht, wie die Mystiker sagen. Es ist dann von größter Bedeutung weiter zu üben, gerade dann, wenn frustrierende Trockenheit einkehrt. Trockenheit liegt auf der affektiv-personalen Ebene. Das Ich fühlt sich frustriert, denn es fühlt sich auf dem Weg zurückgelassen. Trockenheit ist daher für die Mystik ein Instrument und eine Hilfe im Prozess der Loslösung.
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Wahrnehmung des eigenen Seins
Der Schreiber der ‚Wolke des Nichtwissens' kennt neben der Bewusstseinssammlung an einem Wort auch den Weg der Bewusstseinsentleerung (Weg des Schweigens). Er spricht oft von der Wahrnehmung des eigenen Seins. Im Laufe der Übung wird ein Hintergrund wahrnehmbar, der mit dem diskursiven Denken nichts zu tun hat. Selbst Gedanken und Gefühle kommen von dort. Die "Wolke des Nichtwissens" nennt diese Ebene den Grund des Seins.
Das Schauen ins Sein ist die andere Übung, in die der Schreiber der ‚Wolke des Nichtwissens’ führen will. Das Ziel ist die Bewusstseinsleere, aber nicht um der Leerheit willen, sondern weil nur in der Leerheit die Fülle des Göttlichen unverfälscht aufscheinen kann. Das Auge muss farblos sein, damit es Farbe unverfälscht schauen kann, meint Eckhart dazu. Gedanken, Gefühle, Willensimpulse werden nicht festgehalten.
Der Mensch gleicht einem Spiegel, der alles reflektiert, sich aber mit nichts identifiziert. Texte aus der 'Wolke' und dem 'Weg' zeigen das: "Nichts ist jetzt wichtiger, außer dem einen, dass du jetzt Gott in freudiger Liebe die dunkle Wahrnehmung deines reinen Seins hinhältst, damit er dich mit seiner Gnade an sich ziehen und dich im Innersten mit sich einen kann, dein Sein mit seinem Sein". (Weg, S. 40). "Du siehst also, dein nacktes Sein ist der wesentliche Grund all deiner anderen Entfaltungen. Alle hängen davon ab. Nun bis du an einen Punkt gekommen, wo es dir nicht länger nützt, dich mit einzelnen deiner Fähigkeiten zu beschäftigen und deine Aufmerksamkeit auf sie zu richten". (Weg, S. 46). "Du bist nun soweit, dass dein Wachstum verlangt, den Verstand nicht länger mit Nachdenken über die vielfältigen und vielfachen Ausfaltungen deines Wesens zu beschäftigen. Früher verhalfen dir diese Übungen zur Erkenntnis Gottes. Sie erfüllten dein Herz mit wohltuender, froher Zuneigung zu ihm und geistigen Dingen und schenkten dir große geistliche Einsicht. Jetzt aber ist es an der Zeit, dich zu bemühen, ständig in der innersten Mitte deiner Seele zu bleiben, um Gott die dunkle Wahrnehmung deines Seins als Erstlingsfrucht anzubieten." (Weg, S. 49).
In diesem Zustand gibt es immer noch zwei, ein Ich, das erfährt, und das, was erfahren wird. Von hier aus weiterzukommen ist sehr schwer. Das Ziel ist, auch noch dieses Ich hinter sich zu lassen, um das Sein Gottes zu erfahren. Das kann aber nicht mit einem Willensakt erreicht werden. Es bleibt nichts übrig, vertrauensvoll weiter zu üben. Die Anweisungen lauten nach wie vor: Fahre mit der Gebetsübung fort! Fließe ganz in sie hinein! Dann kann dir die Erfahrung geschenkt werden. Eine wirkliche mystische Erfahrung ist ein Widerfahren, sie lässt sich nicht machen. So gehen die Anweisungen weiter.
"Wo immer du bist, was du auch tust und wie du es versuchen wirst, die elementare Wahrnehmung deines nackten Seins steht zwischen dir und deinem Gott. Natürlich mag Gott gelegentlich eingreifen und dich mit einer flüchtigen Erfahrung seines Seins beglücken. Von diesen Augenblicken jedoch abgesehen wird die dunkle Wahrnehmung deines eigenen nackten Seins dein Bewusstsein erfüllen und wie eine Mauer stehen zwischen dir und Gott. Ähnlich war es zu Beginn dieser Übung, als die Aufmerksamkeit auf Einzelheiten deines Seins wie eine Mauer stand vor der direkten Wahrnehmung deines Seins. Bald wirst du spüren, welch schwere und schmerzhafte Last dein eigenes Selbst ist. Möge dir Jesus in jener Stunde helfen, du wirst ihn dringend brauchen. .... Du siehst also, es ist notwendig, das schmerzhafte Kreuz des eigenen Selbst zu tragen. Dies allein wird dich vorbereiten auf die alles übersteigende Erfahrung Gottes, wie er ist, und auf die Vereinigung mit ihm in verzehrender Liebe." (Weg, S. 81).
"Zu Anfang sagte ich: Vergesse alles und blicke nur in das bildlose Dunkel deines nackten Seins. Meine Absicht war jedoch, dich zu dem Punkt zu führen, wo du auch dieses noch aufgibst, um nur noch das Sein Gottes zu erfahren. Diese allertiefste Erfahrung hatte ich im Auge, als ich dir anfangs sagte: Gott ist dein Sein. Es war damals noch zu früh, von dir zu erwarten, dass du ohne Übergang in diese hohe Schau des Seins Gottes eintreten würdest. So habe ich dich Stufe um Stufe weitergeführt. Zunächst riet ich dir, in der unverdeckten bildlosen Schau deines Seins zu ruhen, bis dir durch ausdauerndes geistiges Bemühen die Übung der Versunkenheit leicht fällt. Ich wusste, sie würde dich für das innerste Erkennen des göttlichen Seins vorbereiten. Das Wichtigste dieser Übung war, dass in dir eine alles umfassende Sehnsucht wuchs, ein Verlangen, nur Gott zu erkennen, und sonst nichts. Ich sagte zwar anfangs: Hülle die Wahrnehmung Gottes ein mit der Wahrnehmung deines eigenen Seins. Du warst eben damals noch geistig ungeübt und unentwickelt. Ich hoffte, es würde dir durch geduldiges Üben zunehmend leichter fallen, bis du schließlich fähig wärest, dein Bewusstsein selbst von der elementaren Wahrnehmung deines eigenen Seins frei zu machen, und dann in einer dir bisher völlig unbekannten Weise zu erfahren, wie Gott, so wie er in sich ist, dich voll Liebe umfängt." (Weg, S. 77).
In diesen Erfahrungen und Anweisungen trifft sich der 'Weg' mit den Erfahrungen und Anweisungen eines Johannes vom Kreuz. Dieser spricht nicht vom Schauen ins nackte Sein, sondern vom 'liebenden Aufmerken', was der oben genannten Übung sehr nahe kommt. In beiden Fällen handelt es sich um eine Aufmerksamkeit, die sich auf das Bewusstsein selbst richtet und nicht auf ein Objekt wie Atem, Wort, psychische oder körperliche Vorgänge. Der undifferenzierte Hintergrund selbst dient als Punkt der Sammlung. Diese Übung verlangt einen höheren Grad der Bewusstseinssammlung, weil sich das Bewusstsein nirgendwo festmachen kann.
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Die Wüstenväter (Puritas cordis - Reinheit des Herzens)
Der Wüstenvater Johannes Cassianus fasst die Hinführung ins kontemplative Gebet mit den Worten 'Reinheit des Herzens' zusammen. Cor, Herz, ist bei Cassian die Hauptfähigkeit des Erkennens, besser des Erfahrens. Es ist jener Seelenfunke, mit dem wir unser wahres göttliches Leben nicht nur erfahren können, sondern der dieses göttliche Leben selbst ist. Erfahren wird nicht durch Nachdenken erreicht oder durch Worte, die im Gedächtnis haften: "denn die Weise dieser Dinge kann durchaus nicht durch müßiges Nachdenken oder durch bloßes Wort eingesehen oder gelehrt oder im Gedächtnis behalten werden, denn fast alles beruht hier auf Erfahrung allein. Und wie diese Dinge nur von dem Erfahrenen gelehrt werden können, so können sie auch nur von dem erfasst und verstanden werden, der sie mit gleichem Eifer und Fleiß zu lernen sich abmüht." (Cassian, Collationes Prolog).
Der Weg in die Erfahrung führt über das Wissen vom Weg hin zur Praxis. Sie wird in drei Abschnitte gegliedert:
- Die Arbeit am inneren Menschen (Kampf gegen Sünde)
- Der Dienst an den Brüdern
- Die Gleichgestaltung mit Christus
Reinheit des Herzens ist das erste Ziel, das erreicht werden soll. Die Schau ist das eigentliche und letzte Ziel des Mönchtums. Aber sie ist Geschenk und unterliegt nicht dem Wollen. Daher ist das Nahziel die Reinheit des Herzens (puritas cordis). "So ist das Endziel unseres Berufes das Reich Gottes, aber unser nächstes Ziel die Reinheit des Herzens". (Collationes, I,4).
Wir würden die 'Reinheit des Herzens' jedoch falsch verstehen, wenn wir sie als Sündenlosigkeit im moralischen Sinn deuten wollten. Es ist vielmehr eine seelische Verfassung, die rein, d.h. frei ist von Besetztsein, von Verwirrung und Aufregung. Sie ist Ruhe, die alles losgelassen hat, um frei und offen zu sein für Gott. "Was immer die Reinheit und Ruhe unseres Herzens stören könnte, ist als schädlich zu vermeiden". (Collationes I,7).
Der Prozess des Freiwerdens - bei Johannes vom Kreuz später aktive und passive Reinigung genannt - ist ein psycho-spiritueller Prozess, der zunächst zu tun hat mit der Aufarbeitung von psychischen Defekten wie angstbesetzten Kindheitserlebnissen, anerzogenen Mustern, Traumata und ähnlichen Störungen im persönlichen Unbewussten. Fernerhin bedeutet Reinigung auch das Freiwerden von allem Besetztsein durch die Triebe.
Es ist unter den Wüstenvätern vor allem der Mönch Evagrius Ponticus, der die christliche Mystik beeinflusst hat. Er berichtet uns von zwei großen Mönchsvätern, die beide Makarios hießen. Einige Stellen aus seiner Schrift 'Über das Gebet' seien hier zitiert. "Gib dich also entschlossen ganz dem Gebete hin. Achte dabei weder auf Sorgen noch auf andere Gedanken, die in dir aufsteigen, während du betest. Alles, was sie bei dir erreichen können, ist, dich zu stören und dich zu beunruhigen, um schließlich deine entschlossene Zielgerichtetheit ins Wanken zu bringen." (Evagrius Kap. 9).
Die Bedeutung von Evagrius liegt in seiner Klarheit. Kontemplation ist reines Gewahrsein. Wer wirklich kontemplativ ist, sieht den Ort Gottes. Das ist auch die Bedeutung des Wortes ‚Theologe'. Evagrius setzt dieses Wort mit Mystiker gleich. "Bist du ein Theologe, dann weißt du auch richtig zu beten. Wenn du wirklich zu beten verstehst, so bist du ein Theologe." (Evagrius, Kap. 60).
Auch Evagrius empfiehlt das ungestörte, lange Verweilen im Gebet. "Wenn du betest, dann kümmere dich nicht um die Bedürfnisse deines Leibes, sonst könntest du wegen eines Flohbisses oder wegen einer Laus, einer Fliege, oder einem Moskito jener unübertroffenen Gabe Schaden zufügen, die dir im Gebet geschenkt wird." (Kap. 105).
Kern der Kontemplation ist immer die Freiheit von Bildern und Vorstellungen über Gott. "Wenn du betest, dann stelle dir die Gottheit nicht als Bild vor. Halte deinen Geist überhaupt frei von jeglicher Form und nähere dich ohne jede Materie dem immateriellen Wesen, denn so nur wirst du es erkennen." (Evagrius Kap. 66). Der Weg der Praxis ist ein Wandeln und Reifen zu einem rein rezeptiven Bewusstseinszustand hin.
Jesus ist für die Mönche der vollendete mystische Beter. Sein Beten auf dem Berg und in der Einsamkeit war die Apatheia, die Schau Gottes. So wie Jesus auf dem Berg betend in der tiefen Erfahrung dessen stand, was er Vater nannte, so soll auch der Mönch in diesem Gebet verharren. "Diesen Zustand stellte auch unser Herr in jenem Gebet dar, das er auf dem Berg zurückgezogen und schweigend - wie geschrieben steht - darbrachte, als er, selbst ein unnachahmliches Vorbild der Hingabe, in der Not des Gebetes Blutstropfen vergoss." (v. Nagel S.146).
Das kontemplative Gebet versucht alle Bilder und Worte zu übersteigen. Cassian spricht von Mönchen, die nicht beten können, wenn sie sich nicht irgendein Bild vorstellen: "Diese (ungebildeten Mönche) meinen gar nichts mehr zu haben, wenn sie sich nicht irgendein Bild vorstellen, das sie im Gebet ständig ansprechen, im Geist mit sich herumtragen und immer fest vor Augen haben ..." (v. Nagel, S.149)
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Meister Eckhart (1260 - 1328) - Die Gottesgeburt in der Seele
a) Nichtsuchen als Weg zu Gott
Für die Forschung war Eckhart bisher in erster Linie als sprachgewandter Theologe und eigenständiger Denker interessant und wurde vor allem den Philosophen und Philologen überlassen. Eckhart als Mystiker, der einen Weg in die Gotteserfahrung lehrte, war nicht gefragt. Nun hat er in der Tat keinen systematischen Übungsweg hinterlassen. Aber er sagt in seinen Schriften genug über die innere Einkehr, so dass daraus leicht ein Weg ersichtlich wird.
Die Zeit, in der Eckhart lebte (1260-1328), war eine Epoche religiösen Suchens, wie es sie kaum ein zweites Mal in der Menschheitsgeschichte gegeben hat. In den vielen Klöstern und Beginenhäusern wurde das kontemplative Gebet eifrig gepflegt. Die meisten Gemeinschaften hatten extreme asketische Praktiken. Kasteiungen aller Art waren an der Tagesordnung.
Meister Eckhart wollte die Menschen vor dieser selbstzerstörerischen und übertriebenen äußeren Askese bewahren und für einen geistigen Wandel und eine innere Nachfolge Christi gewinnen. Worum es ihm ging, war die Übung, die das Innere des Menschen - wir würden heute sagen: sein Bewusstsein - wandelt. Er unterscheidet zwischen dem "natürlichen Menschen" und dem "gottgeborenen Menschen", der sich eins weiß mit dem Göttlichen.
Die Frage für Eckhart ist: Wie kann der Mensch die Einheit mit Gott finden und leben, und so wahrer Mensch werden und ganz im Leben stehen? Sein Weg ist der Weg der Gottesgeburt in der Seele. Er betonte immer wieder, dass die Gotteserfahrung vom Menschen her nicht machbar, durch Übung oder gar gewalttätige Aszese nicht erzwingbar, sondern Gnade ist. Man kann das Göttliche nicht verdienen. "Weil es Gnadengaben sind, können wir sie nicht aus eigener Kraft erwerben." (LW IV,198,11 f)
Für Eckhart ist das Suchen nach Gott zwecklos. Der Wunsch, die Gottesgeburt zu erfahren, hindert den Menschen sogar daran, Gott näher zu kommen: "Je mehr man dich (Gott) sucht, um so weniger findet man dich. Du sollst ihn suchen so, dass du ihn nirgends findest. Suchst du ihn nicht, so findest du ihn." (DW I,253,6 ff).
Eckhart unterscheidet sich hier nicht von anderen Mystikern. So schreibt der Verfasser der "Wolke des Nichtwissens", dass man seine Sehnsucht nach Gott vor Gott verbergen soll. Das ist für viele eine verwirrende Aussage. Gemeint ist aber lediglich, dass ich in die Kontemplation nur eintreten kann, wenn ich die seelischen Kräfte, die in der Scholastik mit Verstand, Gedächtnis und Wille bezeichnet wurden, hinter mir lasse und in ein reines Gewahrsein gelange.
Alles Beten ist ein Üben des Loslassens. Wird der Mensch wirklich gelassen und leer, muss Gott sich eingießen: "Es ist ein Augenblick: das Bereitsein und das Eingießen. Wenn die Natur ihr Höchstes erreicht, dann gibt Gott die Gnade; im gleichen Zeitpunkt, da der Geist bereit ist, geht Gott (in ihn) ein, ohne Verzug und ohne Zögern." (DPT S. 436,9 ff).
Bereitsein und Eingießen ereignen sich im gleichen Augenblick: "Deshalb muss Gott sich notwendig einem abgeschiedenen Herzen geben." (DW V,403,4 f).
Wenn der Mensch sein Ich gelassen hat, erscheint das Göttliche in der Tiefe seiner Seele. Das Lassen oder Loslassen hat nichts mit einem Willensakt zu tun. Willentlich kann man nicht lassen. Man muss gleichsam in sich selbst einkehren, bis auch der Wille in der Abgeschiedenheit untergeht. Der Wille muss auf den Weg setzen, motivieren, aber dann in der Gebetsübung untergehen.
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b) Anweisungen zur Übung
Da es Eckhart um den geistigen Wandel geht, wendet er sich gegen extreme Formen des Bußlebens jener Zeit wie "Fasten, Wachen, Beten, Knien, Sich-Kasteien, härene Hemden tragen, hart liegen". Es kommt ihm nur auf die innere Wandlung an. Alle Übungen haben nur die eine Funktion: loslassen zu lernen. Eckhart nennt diese vorbereitenden Übungen "innere Übungen". Sie helfen, "wenn man sich mit verständnisvoller Umsicht von innen her übt". (DW III, 485, 10-11).
Welches sind nun die Übungen, die Eckhart empfiehlt? Was kann ein Mensch beitragen, um zur Gottesgeburt zu gelangen? Der Kernsatz seiner Anweisungen ist in den Reden der Unterweisungen zu finden: "Dass er (der Mensch) überdies in allen Dingen Bindungslosigkeit gewinne und gegenüber den Dingen völlig frei bleibe. Dazu gehört zu Beginn notwendig Überlegung und ein aufmerksames Einprägen wie beim Schüler in seiner Kunst". (DW V,209,1 ff).
Meister Eckhart nennt den Weg die 'innere Übung'. G. Wolz hat in seinem Beitrag 'Übung und Gnade' fünf Voraussetzungen für die innere Übung herausgestellt: 1. Ruhe - 2. Sammlung - 3. Gelassenheit - 4. Armut - 5. Abgeschiedenheit. Diese fünf Voraussetzungen stellt er in seinem Werk dar.
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c) Ruhe
Nur in "lauterer Ruhe" kann der Mensch Gott schauen. (DW III, 196,14). Nur in der Ruhe gebiert Gott seinen Sohn in der Seele. Diese Übung der Ruhe steht bei Eckhart vor jeder anderen Übung: "Des Wachens, Fastens, Betens und aller Kasteiung achtet und bedarf Gott nicht im Gegensatz zur Ruhe." (DW III, 19, 2f).
Zwei Schritte empfiehlt Eckhart hierfür: "Entziehe dich der Unruhe äußerer Werke! Fliehe weiterhin und verbirgt dich vor dem Gestürm innerer Gedanken." (DPT S.420, 24ff). Es reicht nicht aus, sich äußerlich abzuschließen, man kann das nicht durch Fliehen lernen. Das Innere des Menschen muss beruhigt werden: "Alle Stimmen und Laute, die müssen fort und es muss eine lautere Stille da sein, ein Stillschweigen." (DW I ,312, 8ff). Eckhart weiß sehr gut, dass diese innere Ruhe sehr viel schwerer herzustellen ist, als die äußere.
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d) Sammlung
"Wer Gottes Lehre empfangen soll, der muss sich sammeln und in sich verschließen vor aller Sorge und Kümmernis und dem Getriebe niederer Dinge" (DW III, 240, 3ff).
Was auf den ersten Blick wie eine Verengung des Bewusstseins aussieht, führt in Wirklichkeit in eine Bewusstseinserweiterung: "Je mehr sich die Seele gesammelt hat, um so enger ist sie, und je enger sie ist, um so weiter ist sie." (DW I,351,8f).
Bewusstseinssammlung ist also die Vorstufe für die Bewusstseinserweiterung. Bewusstseinssammlung ist ein Loslassen aller anderen Möglichkeiten des Bewusstseins.
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f) Gelassenheit
Gelassenheit meint bei Eckhart etwas anderes als der gewöhnliche Wortsinn besagt. Das wird klar aus einem Schriftzitat: "Niemand kann mein Wort hören noch meine Lehre, er habe denn sich selbst gelassen" (DW I, 170,1). Gelassenheit hat bei Eckhart also zu tun mit Lassen und Loslassen. Nur wer sein Ich lassen kann, kommt der Forderung des Meisters nach. Eckhart ist auch hier von einer kompromisslosen Konsequenz: Der Mensch muss so lassen, dass er "niemals nur einen Augenblick auf das sieht, was er gelassen hat." (DW I, 203,3f). "Wer die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist meiner nicht wert", sagt Jesus. Aber der Mensch darf auch nicht nach vorne blicken auf das, was er erlangen möchte: "Hast du es aber auf das, was dir zuteil werden soll, abgesehen und schielst du danach, wird dir nichts zuteil." (DW III, 284,1f).
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g) Armut
Sie ist ein anderes Wort Eckharts für Loslassen. Er meint nicht leibliche Armut, sondern bezeichnet damit vor allem ein Lassen der intellektuellen Tätigkeit, worauf er in seiner Predigt 32 ("Beati pauperes spiritu...") hinweist. Darin schreibt er: "Darum bitten wir Gott, dass wir Gottes ledig werden." "Darum bitte ich Gott, dass er mich Gottes quitt mache, denn mein wesentliches Sein ist oberhalb von Gott." Und dann sagt er in nicht überbietbarer Radikalität, dass der Mensch sogar den Willen lassen muss, den Willen Gottes zu erfüllen.
Der Mensch muss so arm sein, dass er nicht einmal erkennt und empfindet, dass Gott in ihm lebt und dass Gott auch die Stätte im Menschen sein will, auf der er wirkt. Die Werke, die der Mensch dann wirkt, sind nicht mehr seine Werke, sondern Gottes Werke. Jede menschliche Aktivität muss zurücktreten auf dem Weg der Kontemplation. Erst dann kann das Göttliche in uns aufleuchten.
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h) Abgeschiedenheit
Abgeschiedenheit ist bei Eckhart ein Schlüsselwort. Darunter versteht er weniger einen Rückzug in die Einsamkeit als vielmehr die innere Abgeschiedenheit von Vorstellungen und Konzepten. "Wenn ich predige, so pflege ich zu sprechen von Abgeschiedenheit und dass der Mensch ledig werden soll seiner selbst und aller Dinge..." (DW, Pr.53). Abgeschiedenheit übertrifft jede Tugend. Abgeschiedenheit erzwingt Gottes Selbstmitteilung. Diese Abgeschiedenheit soll der Mensch auch in seinem äußeren Tun behalten.
Eckhart bringt hier das Gleichnis von der Türangel, die unbeweglich bleibt, auch wenn die Tür sich dreht. Gemeint ist ein inneres Zur-Ruhe-kommen der Seelenkräfte Intellekt, Gedächtnis und Wille, damit das göttliche Erkennen, die mystische Erfahrung, aufleuchten kann. Das Herz "muss auf einem reinen Nichts stehen".
Diese Zurücknahme der Aktivität des Ich-Bewusstseins wird bei allen esoterischen Wegen als unabdingbare Voraussetzung genannt. Sie ist das A und O jedes Übungsweges und führt den Menschen zur Einförmigkeit mit Gott. Das Wort Jesu: "Es ist gut für euch, dass ich fortgehe", legt er entsprechend aus: "Darum scheidet ab die bildhafte Erscheinung, und vereinigt euch mit dem formlosen Sein".
Auch das Bild Jesu und alle Gottesbilder müssen gelassen werden, um Gott wirklich zu erfahren. "Wer nun den Adel und Nutzen vollkommener Abgeschiedenheit erkennen will, der beachte Christi Worte, die er über seine Menschheit sprach, als er zu seinen Jüngern sagte: 'Es ist euch nütze, dass ich von euch gehe, und gehe ich nicht von euch, so kann euch der Heilige Geist nicht zuteil werden' (Jo 16,7), gleichsam, als ob er spräche: Ihr habt zu viel Wohlgefallen an meiner gegenwärtigen Erscheinung gefunden, deshalb kann euch die vollkommene Freude des Heiligen Geistes nicht zuteil werden. Darum scheidet ab die bildhafte Erscheinung, und vereinigt euch mit dem formlosen Sein, denn Gottes geistiger Trost ist feingeartet". (D. Mieth, S. 96).
Abgeschiedenheit ist gleichsam die Türangel, die dem Menschen auch in den stürmischsten Zeiten Ruhe beschert: "Eine Tür geht in einer Angel auf und zu. Nun vergleiche ich das äußere Brett der Tür dem äußeren Menschen, die Angel aber setze ich dem inneren Menschen gleich. Wenn nun die Tür auf- und zugeht, so bewegt sich das äußere Brett hin und her, und doch bleibt die Angel unbeweglich an ihrer Stelle und wird deshalb niemals verändert. Ebenso ist es auch hier, wenn du's recht verstehst". (D. Mieth S. 92). "Wenn die Abgeschiedenheit zum Höchsten gelangt, so wird sie von Erkennen erkenntnislos und von Liebe liebelos und von Licht finster."
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Johannes vom Kreuz (1542 - 1591) - Liebendes Aufmerken - Dunkle Nacht
Johannes vom Kreuz will einen Weg in die mystische Erfahrung lehren. Nirgendwo steht das klarer als in der Einleitung zu seinem Buch 'Aufstieg zum Berge Karmel". Dort heißt es: "Der Aufstieg zum Berg Karmel erklärt, wie man die göttliche Vereinigung schnell erreichen kann." Die Wegbeschreibung lässt sich leicht auf die Kurzform bringen, wie sie in seinem Buch "Die lebendige Flamme" zu finden ist: 'Liebendes Aufmerken'.
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a) Liebendes Aufmerken
"Die Seele muss Gott ein liebevolles Aufmerken entgegenbringen, nur dies, ohne in Akten sich zu besondern; rein empfangend muss sie sich verhalten, ohne eigene Beflissenheit, mit dem entschlossenen schlichten Aufmerken der Liebe, so wie jemand in liebreicher Achtsamkeit die Augen öffnet." (LF III,33). Der von Johannes vom Kreuz beschriebene Weg in die Kontemplation ist liebende Aufmerksamkeit oder, wie er es an anderer Stelle nennt, das "passiv liebende Empfangen." (LF III,34).
Liebe scheint zunächst eine starke Egoaktivität, ja Leidenschaft zu beinhalten und dadurch störend zu wirken. Wirkliche Liebe, wie Johannes vom Kreuz sie hier anspricht, ist jedoch selbstlos. Sie ist verbunden mit Hingabe an den Willen Gottes und ist doch gleichzeitig voller Kraft und Entschlossenheit. Liebe (nach etwas verlangen) und Hingabe (loslassen) sind wichtige korrespondierende Haltungen in der christlichen Kontemplation.
Wie andere Mystiker lehrt auch Johannes vom Kreuz, während der kontemplativen Übung alle Überlegungen, selbst fromme Gedanken und Gefühle, beiseite zu lassen: "Dem Geist ist diese Unabhängigkeit und Unberührbarkeit vor allem aus dem Grunde not, weil irgendein Gedanke, Einfall oder Genuss, bei denen die Seele zu solcher Stunde sich aufhalten möchte, sie behindern und beunruhigen würde. Diese Vorgänge würden Lärm schlagen in der tiefen Stille, deren die Seele an Leib und Geist bedarf für das Auffangen des Zarten und Tiefen, das Gott in solcher Einsamkeit im Herzen einspricht." (LF III,34).
Dieses liebende Aufmerken ist ein Horchen nach innen. Gott ist in uns, "die Mitte der Seele ist Gott." (LF I,12), sagt Johannes vom Kreuz. Wir können dies normalerweise nicht wahrnehmen, nicht erfahren, weil unser Verstand, unsere Sinne und unser Wille so laut sind. Es ist nicht leicht, sich auf diesem Grat des Lauschens nach innen zu halten. Man darf weder ins diskursive Denken abgleiten noch ins Dösen oder gar ins Schlafen geraten. Es ist eben letztlich diese liebende Aufmerksamkeit, die - ohne Vorstellung von Gott und ohne bestimmte Erwartungen - lauscht und schaut, da "Gott die Mitte der Seele ist".
Verstand, Gedächtnis und Wille müssen vollständig ausgeschaltet bleiben. Die zarte Beziehung dieser liebenden Aufmerksamkeit zum Mittelpunkt des eigenen Seins wird durch die leiseste Regung dieser Seelenkräfte zerstört. So warnt Johannes vom Kreuz in den Erläuterungen zur dritten Strophe: "Äußerst leicht - schon bei der geringsten Eigenregung der Seele im Bereich des Gedächtnisses, des Erkennens, des Wollens, bei dem leisesten Versuch, die Sinne heranzuziehen, den Trieb, die Wahrnehmung, die Lust, - wird dies Werk gestört, sein Schmelz verwischt. Und das ist schwerer Schaden, großer Schmerz und Jammer." (LF III,41).
Weiter schreibt er vom Einschläfern und Entfremden der Sinne (LF III,55) und vom Abdunkeln der Beziehungen zu Gott: "Ich sage also: um sich durch den Glauben gut zu diesem Stande führen zu lassen, muss die Seele das Dunkel wahren, nicht nur im Bereich ihrer Beziehungen zu den Geschöpfen und zeitlichen Dingen, nämlich im sinnlichen und niedrigen Teil, (wovon wir schon sprachen), sondern sie muss sich auch blenden und abdunkeln im Bereich ihrer Beziehungen zu Gott und zum Geistigen, nämlich im vernünftigen und höheren Teil. Davon wollen wir nun sprechen. Denn dies ist klar: Will eine Seele zur über-natürlichen Umgestaltung gelangen, so muss sie alles, was ihrer Natur eignet, das Sensitive wie das Rationale, verdunkeln und übersteigen. Denn übernatürlich heißt ja, was über die Natur hinausgeht; das Natürliche bleibt dann unten." (ABK II,4,2).
"... Die Seele hat sich also leer zu halten, als wäre sie dazu imstande, so zwar, dass sie auch im Besitze vieler übernatürlicher Güter wie ihrer entblößt und im Dunkel sei - gleich einem Blinden -, gestützt auf den dunklen Glauben, durch ihn geführt und erleuchtet, nicht aber auf etwas gestützt, das sie begreift, verkostet, fühlt oder ersinnt." Am Anfang ist dieses liebevolle Erkennen des inneren Lichtes fast nicht wahrnehmbar, sagt Johannes vom Kreuz. Er gibt auch den Grund an: "Es ist so zart, dass der Mensch, der an die Übung des Betrachtens gewohnt ist, das unfassbar Neue nicht fühlen kann" (ABK II, 13,7).
Er vergleicht diesen Vorgang mit der Wahrnehmung des äußeren Lichtes. Dessen Sichtbarkeit ist dort am besten, wo es reflektiert wird. Der durch das Fenster einfallende Sonnenstrahl kann vom Auge besser erfasst werden, wenn umherfliegende Stäubchen sein Licht reflektieren. So klammert sich die Seele anfangs noch an die "Stäubchen", die in ihrem Innenraum umherfliegen, weil sie die Dunkelheit des unerschaffenen Lichtes noch nicht erfassen kann. "Das Licht selbst ist nicht Gegenstand des Sehens," sagt Johannes vom Kreuz, "sondern nur das Mittel, Sichtbares wahrzunehmen" (ABK II,14,9). So geht das Schauen nach innen durch einen langen Entwicklungsprozess.
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b) Einüben der liebenden Aufmerksamkeit
Johannes vom Kreuz setzt voraus, dass Anfänger in der Kontemplation die bildhafte Betrachtung intensiv gepflegt haben (ABK II, 14,1). Doch wenn die Freude daran erlischt, soll die Seele beginnen, sich mit diesem liebenden Aufmerken zu beschäftigen, auch wenn es ihr erscheint, als tue sie nichts. (ABK II,14,2,3). Das Licht Gottes mangelt der Seele nie. Doch wegen der Bilder und Hüllen, die den Grund verdecken, kann es nicht wahrgenommen werden.
Daher gilt es zu lernen, in liebender Aufmerksamkeit vor Gott zu verweilen (ABK II,15). Dieses Verweilen muss oft und regelmäßig geschehen, damit es, wie er sagt, zu einem Zustand führt: "Da nun viele Akte, welcher Übung auch immer, in der Seele einen Zustand ausbilden, so bildet auch die oft wiederholte Übung des liebenden Erkennens, der sich die Seele fallweise hingibt, durch Gewöhnung einen Zustand aus." (ABK II,14,2).
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c) Der Reinigungsprozess - Die Dunkle Nacht
Keine der ego-gesteuerten Seelenkräfte, wie Verstand, Gedächtnis oder Wille dürfen im Zustand der Kontemplation aktiv sein. Diese Übung ist nicht leicht, denn der Verstand darf sich an nichts festhalten. Auch die Gemütsbewegungen sollten vorüberziehen. Es ist ein liebendes Aufmerken, das nichts weiß und nichts will.
Wer sich auf diesen Weg macht, wird bald feststellen, wie sehr ihn die Alltagsgedanken bedrängen. Aber nicht nur Alltagsgedanken erschweren die Übung. Alles, was im Laufe der Jahre ins persönliche Unbewusste verdrängt, "unter den Teppich gekehrt" wurde, fühlt sich jetzt ermutigt, auf der inneren Bühne seinen Platz einzunehmen. Gewöhnlich haben daher Anfänger auf dem Weg zuerst mit ihren angstbesetzten Kindheitserlebnissen, Traumata und neurotischen Blockierungen zu tun.
Während dieser aktiven Reinigungsphase kann der Mensch noch etwas zu seinem inneren Wandel beitragen. Doch mit dem Beginn der "passiven Reinigung", die vor allem das kollektive Unbewusste zu läutern scheint, fällt alles Agieren weg. Diese Bewusstseinsschichten sind dem aktiven Zugriff des Menschen verschlossen. Die letzte Reinigung muss erlitten werden. Der ganze Vorgang kann ungeheuer schmerzvoll sein. Nur wer ihn selbst durchgestanden oder lange mit Menschen, die davon betroffen wurden, gearbeitet hat, weiß um die Not.
Das 6. Kapitel des 2. Buches der "Dunklen Nacht" von Johannes vom Kreuz gibt einen Einblick. Dort heißt es: "Die dritte Art von Passion und Pein, die hier über die Seele kommt, entspringt aus zwei anderen Gegensätzen, dem Göttlichen und dem Menschlichen, die nun zusammentreffen. Das Göttliche ist diese läuternde Kontemplation, und das Menschliche ist das Subjekt der Seele. Wenn nun das Göttliche sie überfällt, um sie auszureifen, zu erneuern und dadurch göttlich zu machen - wenn es sie nun von allen eingewurzelten Neigungen, von allen klebenden und eingefleischten Eigenheiten des alten Menschen vollkommen entblößen will, dann zerstückelt und vernichtet es derart ihre geistige Substanz in einer sie umschlingenden, dichten und tiefen Finsternis, dass sich diese Seele angesichts ihrer Erbärmlichkeiten in einem grausamen Geistestod hinschmelzen und hinschwinden fühlt. Nicht anders, als fühlte sie sich eingeschluckt in den düsteren Bauch eines Ungetüms und von ihm zersetzt in den gleichen Erstickungsnöten wie Jonas im Bauche jenes Meerungeheuers (Jon 2). Denn in solcher Gruft, in solch finsterem Tode muss sie ihrer geistlichen Auferstehung entgegen harren."
Die Worte, die Johannes vom Kreuz in diesem Kapitel gebraucht, lassen das Furchtbare des Reinigungsprozesses ahnen: "Ringsum Geröchel des Todes - Qualen der Hölle - in die Finsternis geworfen - versenkt in den Pfuhl der untersten Tiefe - lichtlose Schatten des Todes - Todesschatten, Todesstöhnen, Höllenqualen - beklemmendes Leiden - aufgehängt in der Luft, ohne atmen zu können, die Knochen müssen im Feuer verbrennen - weggezehrt wird das Fleisch - die Gliedmaßen werden zerlöst (Ez 24,10) - tödliches Hinschmachten - die Seele sieht die Hölle vor sich aufklaffen."
Die passive Reinigung kann eine Zeit der Hilflosigkeit, des Schmerzes, der Verkrampfung, der Verzweiflung, der Panik und des Horrors sein. Nicht ohne Grund nannten die Mystiker diesen Zustand horror vacui, das Grauen (vor) der Leere. Nur wenige werden durch diese Prüfungen ohne ermutigenden Führer gehen können.
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d) Führung auf dem kontemplativen Gebetsweg
Johannes vom Kreuz legt größtes Gewicht auf Seelenführung. Jemand ohne Seelenführung ist wie ein Garten ohne Zaun. Er spricht in vielen Kapiteln seiner Werke von spiritueller Führung, von Spiritualen und Beichtvätern, mit denen er allerdings streng ins Gericht geht. Nach Ansicht von Fernando Urbina, einem der besten Kenner von Johannes vom Kreuz, schrieb dieser seine Bücher nur, weil die Angst vor der Inquisition die Beichtväter seiner Zeit davon abhielt, mystisch begabte Menschen auf dem kontemplativen Weg zu begleiten. Johannes vom Kreuz wirft diesen Seelenführern Mangel an Verständnis vor, weil sie versuchten, jene Menschen, die daran waren, in die Dunkelheit und Leere der Kontemplation einzutreten, zu Betrachtung und frommen Übungen zurückzuholen.
"Wenn die Seelen zu dieser Zeit bei niemandem Verständnis finden, dann fallen sie zurück, den Weg verlassend und erlahmend; zum mindesten aber behindern sie selber ihren Fortschritt, weil sie sich darauf versteifen, durch Meditation und Auseinanderlegung voranzukommen; und dabei pressen sie zu hart auf ihre natürlichen Kräfte, in der Meinung, durch ihre Nachlässigkeit und ihre Sünden steckenzubleiben" - "und darin gehen sie fehl, denn zu dieser Zeit leitet Gott sie bereits auf einem anderen, auf einem durchaus unterschiedenen Wege, dem der Kontemplation. Der eine Weg ist ein Weg des veranschaulichenden Nachsinnens, der andere hat nichts mit Anschaulichkeit und Überlegung zu tun." (DN I,10,2).
"In dieser Nacht der Sinne müssen sie sich über nicht mehr zeitgemäße Meditation und Grübeleien hinwegsetzen ..., auch wenn sie überzeugt sind, ihre Zeit im Nichtstun zu verlieren und aus Schlaffheit die Gedankenarbeit zu meiden." (DN I,10,4).
"Manchmal wollen sie (die Seelen) nicht ins Dunkel eintreten noch sich hineinziehen lassen. Manchmal verstehen sie es nicht und es mangelt ihnen an geeigneten und erfahrenen Führern, sie auf den Gipfel zu geleiten" - "Sie bleiben bei ihrer niedrigen Weise, mit Gott zu verkehren, weil sie es nicht anders wollen oder wissen oder niemand da ist, sie auf den Weg des Lassens jener Anfänge zu führen. Begnadet unser Herr sie endlich so sehr, dass sie ohne dieses und jenes hindurchkommen, so gelangen sie doch viel später und mühseliger und weniger verdienstlich ans Ziel". (ABK Vorrede 3)
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e) Kritik an den Seelenführern
Der Übergang von der Meditation zur Kontemplation stellt einen kritischen Punkt im spirituellen Leben dar. Statt die Suchenden zurückzurufen, sollten geistliche Führer sie ermuntern, mit der Übung des liebenden Aufmerkens mutig und treu fortzufahren trotz aller Trockenheit, Einsamkeit und Leere.
In seinem Buch "Die Lebendige Flamme" kommt er ausführlich darauf zu sprechen. (LF III, alle Absätze von 53 bis 66). In der Vorrede zum Buch "Aufstieg zum Berge Karmel" nennt Johannes vom Kreuz die disqualifizierten Seelenhirten "Erbauer des Turmes von Babel". In "Die lebendige Flamme" werden sie "Grobschmiede" geheißen, die nur darauf loszuhämmern verstehen. (LF III,43), "Füchslein", die den blühenden Weinberg des Herrn zertreten (LF III,52), "Blinde", die das Wirken des Heiligen Geistes stören, und Leute, die andern "die Himmelstür verriegeln" (LF III,62).
Er rät daher den Menschen, auf dem geistlichen Weg vorsichtig zu sein und sich nicht jedem anzuvertrauen. "Die Seele, die auf diesem Wege der Sammlung und Vervollkommnung voran gelangen will, muss als erstes überlegen, in wessen Hände sie sich gibt, denn wie der Meister so der Schüler, wie der Vater so der Sohn". (LF 3,30).
Johannes. vom Kreuz verlangt vom Lehrer in der Kontemplation nicht unbedingt Heiligkeit, aber Erfahrung. Auch bestimmte psychologische Voraussetzungen sind notwendig, um andere zu führen. "Dabei ist zu beachten: Für diesen Weg, zumindest für die obere Strecke, aber auch für die mittlere, wird kaum ein Führer gefunden, der alle Erfordernisse erfüllt. Umsicht und Unterscheidungsgabe genügen hier nicht, es muss ein solcher darüber hinaus Erfahrung besitzen... Fehlt die Erfahrung dessen, was reiner und wahrer Geist ist, so wird es nicht glücken, die Seele in dem von Gott Empfangenen zu prüfen oder solchen Geist auch nur zu verstehen." (LF 3,30).
Vielleicht besser als alle weiteren Zitate sagt der folgende Abschnitt, was Johannes vom Kreuz von einem Seelenführer verlangt: "Solche Seelenführer mögen sich bewusst sein, dass der eigentliche Beweger und Führer der Seele nicht sie sind, sondern der unablässig um sie bemühte heilige Geist, da sie nur Wegweiser sind für den Aufstieg zur Vollkommenheit kraft des Glaubens und des göttlichen Gesetzes, zu einer Vollkommenheit gemäß dem Geiste, den Gott in jede Seele besonders eingießt. Und so sei denn sein ganzes Bestreben, sie nicht eigensinnig seiner eigenen Weise anzugleichen, sondern sich zu prüfen, ob er den Weg erkennt, den Gott sie führt."
Johannes vom Kreuz verweist allerdings auch sehr deutlich auf Vernunft und natürliche Urteilskraft. Niemand soll blindlings seiner eigenen Erfahrung folgen, sondern sich rückversichern bei seinem Seelenführer.
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Jesus Christus in der Kontemplation
Das Ziel der Kontemplation ist die Gleichgestaltung mit Jesus. Jesus, der sich immer wieder zum Gebet auf den Berg und in die Einsamkeit zurückgezogen hat, ist das Vorbild des Mystikers. Aber nicht das Bild des irdischen Jesus ist Ziel der Beschauung. Es muss losgelassen werden, um den Auferstandenen zu erfahren. Auch der irdische Jesus und das Bild von ihm kann nämlich zum Hindernis werden, wenn man daran haften bleibt.
In der Meditation spielen die Gestalt Jesu und sein irdisches Leben eine wichtige Rolle. Aber in der Kontemplation muss auch diese Gestalt zurückbleiben. Sie zeigt letztlich über das Personale hinaus ins Göttliche. Jesus sagt im Johannesevangelium: "Es ist gut für Euch, dass ich weggehe, denn wenn ich nicht weggehe, wird der Helfer nicht zu euch kommen" (Jo 16,7). Von der Mystik wird diese Stelle immer so ausgelegt, dass die äußere Gestalt Jesu zurücktreten muss, damit der Christus erfahrbar wird.
Aus diesem Grund, sagt Johannes vom Kreuz, ließ Jesus auch Maria nicht zu seinen Füßen (ABK II, 11,7). Maria hatte zu begreifen, dass es nicht um diesen irdischen Jesus geht, sondern um ihre eigene Christuswerdung; dass es nicht darum geht, diesen Jesus festzuhalten, sondern ihn zu lassen, um das Reich Gottes, das Göttliche zu erfahren, das sich in jedem Menschen offenbart.
Nicht so sehr die 'Imitatio' (Nachahmung) ist Leitgedanke der Mystik als vielmehr die 'Conformatio' (Gleichgestaltung) mit Jesus. So meint Johannes vom Kreuz: "Im Augenblick des Todes war er (Jesus) auch der Seele nach vernichtet, ganz ohne Trost und Hilfe, da der Vater ihn dem niederen Bereich innerster Trockenheit überließ. Dies drängte ihn zu dem Schrei: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Es war die tiefste fühlbare Verlassenheit seines Lebens. Und in ihr wirkte er das größte Werk ... Dem möge der im Geist Strebende das Geheimnis der Tür und des Weges Christi zur Vereinigung mit Gott entnehmen. (ABK II,7,11).
Johannes vom Kreuz will damit sagen, dass der Mensch auf dem Weg der Kontemplation alles Sinnenhafte und Rationale in der Gottesvorstellung zu lassen hat, um in die gleiche Vernichtung des Egos einzutreten, wie sie Jesus erlebt. Im Grunde ist es nichts anderes, als was das Zenwort meint: "Stirb auf deinem Kissen!"
Christus ist der Typus für die wahre erlöste Gestalt des Menschen. Er ist der Erstgeborene. Ebenso wie in ihm kann in jedem das Göttliche zum Ausdruck kommen. So zielt Mystik auf die Gottesschau, um darin die eigene Göttlichkeit zu erfahren.
Das ist es wohl auch, was Cassian meint, wenn er schreibt: "Dann wird sich jenes Gebet des Herrn vollkommen erfüllen... wenn jene vollkommene Liebe Gottes, mit der er uns zuerst geliebt hat' (1 Jo 4,10), auch in die Regung unseres Herzens übergegangen ist ... Das wird geschehen, wenn all unser Lieben und Sehnen, alles Streben und Suchen, alles Denken und Schauen, Reden und Hoffen Gott sein wird und jene Einheit, die nur der Vater mit dem Sohn und der Sohn mit dem Vater hat, in unseren innerlichsten Sinn ausgegossen ist. Dann nämlich, wenn, wie er uns mit aufrichtiger, reiner und unlöslicher Liebe liebt, auch wir ihm in ewiger und unzertrennlicher Liebe geeint werden, so dass unser Atmen, Erkennen und Sprechen Gott ist ..." (Collationes).
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Anmerkungen
Abkürzungen in den Eckhartschriften: DPT = Meister Eckhart, Deutsche Predigten und Traktate, Hrsg. Quint, München 1977 DW = Meister Eckhart: Die deutschen Werke, hrsg. von Quint J., Deutsche Forschungsgemeinschaft
Literatur: Evagrius Ponticus, Praktikos - Über das Gebet, Münsterschwarzach 1986 Gregor v. Nyssa, Der versiegelte Quell, Einsiedeln Johannes Cassian, Collationes Johannes Cassian, Texte zum Nachdenken, Herder TB 945 Johannes vom Kreuz, Sämtliche Werke, Einsiedeln: ABK = Aufstieg zum Berge Karmel, DN = Die Dunkle Nacht, LF = Lebendige Flamme Jungclaussen E. (Hrsg.), Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, Herder Jungclaussen E., Das Jesusgebet, Regensburg Jungclaussen E., Der Meister in dir, Herder Keating Th., Das Gebet der Sammlung, Vier Türme Verlag May G., Will and Spirit, Harper & Row, San Francisco Mieth D., Meister Eckhart, Freiburg Nagel Demetrias v., Puritas Cordis, in: Stachel, Ungegenständliche Meditation, Mainz Weisung der Väter, Herausg. Miller B., Herder Wolke des Nichtwissens, Massa W. (Herausg.), Herder Wolz G., Übung und Gnade, Zeitschr. f. Philos. u. Theologie, Bd. 34, 1987, Heft 1-2, S.147) Writings from the Philokalia, Faber and Faber, London Stüwe Klaus, Kraftquelle Einsamkeit Spannbauer Christa, Im Haus der Weisheit, Kösel
Bücher zur Kontemplation von Willigis Jäger: Westöstliche Weisheit - Visionen einer integralen Spiritualität, Theseus Das Leben ist Religion, Kösel 27 Perlen der Weisheit, via nova Die Wiederkehr der Mystik, Das Ewige im Jetzt, Herder In jedem Jetzt ist Ewigkeit, Worte für alle Tage, Kösel Wohin unsere Sehnsucht führt Aufbruch in ein neues Land, Erfahrungen eines spirituellen Lebens, Herder Kontemplation heute, Gott begegnen heute, Herder Die Welle ist das Meer, Mystische Spiritualität, Herder Der Himmel in dir, (mit Beatrice Grimm), Kösel Suche nach der Wahrheit, Wege, Hoffnungen – Lösungen, via nova Suche nach dem Sinn des Lebens, via nova
Willigis Jäger OSB, Theologe, Priester und Benediktiner. Studium der Philosophie und Theologie. Sechs Jahre verbrachte er in einem Zen-Tempel in Japan unter der Leitung eines buddhistischen Zenmeisters. Er ist selbst Zenmeister und führt Menschen in die christliche Mystik und Zen ein. Er wendet sich vor allem auch an Menschen, die sich keiner Konfession zuzählen, aber einen spirituellen Weg suchen.
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